Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Inferno Roman

Titel: Das Inferno Roman
Autoren: Richard Laymon
Vom Netzwerk:
könnten sie sehen.
    Den Rücken zur Straße gewandt, zog sie die durchnässte Bluse von ihrem Körper weg. Sie schob das T-Shirt
darunter, drückte es vorsichtig auf die Wunde und sicherte es mit dem Gürtel.
    Dann schloss sie die Knöpfe ihrer Bluse.
    Sie holte tief Luft. Ihre Lungen brannten dabei wie sonst nur, wenn die Familie von ihrem jährlichen Besuch der L. A. County Fair in Pomona zurückkam - nachdem sie einen ganzen Tag lang die schwer verschmutzte Luft dort eingeatmet hatte. Sie schätzte, ihre jetzigen Schmerzen waren auf zu viel Rauch und Staub zurückzuführen.
    Ob sie jemals wieder mit ihrer Mom und ihrem Dad auf die County Fair gehen würde?
    Ob sie sie jemals lebend wiedersehen würde?
    Sie schluckte. Ihr Mund und ihre Kehle fühlten sich vollkommen trocken an.
    Mach schon, bring’s hinter dich, sagte sie sich. Es hat keinen Sinn, es vor dir herzuschieben. Was ist, wenn Mom deine Hilfe braucht?
    Sie entschied sich, noch einmal draußen nachzusehen, bevor sie sich auf den Weg ins Haus machte.
    Sie drehte sich langsam und sah sich in der Nachbarschaft um. In der Nähe der abgelegenen Seite des Grundstücks war ein Haus bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Verschiedene andere Häuser waren zerstört, manche hatten schwere Schäden davongetragen, andere schienen kaum beschädigt. Niemand war in der Nähe zu sehen.
    Niemand zu sehen, weder tot noch lebendig.
    Wenn eine Gang hier durchgekommen wäre, würden zumindest Leichen hier rumliegen, sagte sie sich.
    Das ist schon mal ein gutes Zeichen. Aber wo sind alle hin?

    Vielleicht auf der Arbeit. Oder in der Schule. Oder in ihren Häusern - räumen das Durcheinander auf oder verstecken sich.
    Sie fragte sich, ob auch manche ihrer Nachbarn zu Wilden mutiert waren.
    Ob sie durchgedreht und Amok gelaufen waren.
    Auszuschließen ist es nicht, dachte sie.
    Fast alle Menschen, die ihr unterwegs begegnet waren, waren auf die eine oder andere Art durchgedreht. Als ob das Erdbeben einen tief in der Erde schlummernden Virus freigesetzt hätte - einen Virus, der aus Menschen ungehemmte Wilde machte.
    Andererseits hielt es Barbara für ziemlich unwahrscheinlich, dass so etwas passiert sein könnte.
    Niemand war durchgedreht, weil er einen Virus oder ein Gas oder irgendwelche außerirdischen Einflüsse aufgeschnappt hatte.
    Es kam ihr eher vor, als ob in jedem Menschen ein sabbernder, glubschäugiger Irrer steckte, der darauf drängte, sich zu befreien. Und das Beben hatte die Mauern fallen lassen, die ihn ansonsten zurückhielten.
    In jedem, außer in Pete und mir.
    So ziemlich.
    Vielleicht sind wir auch durchgedreht und haben es gar nicht bemerkt?
    Wer weiß das schon?
    Hör auf, abzulenken.
    Sie wünschte, sie hätte eine Pistole. Oder ein Messer. Oder irgendeine Waffe.
    Sie hatte nichts.
    Das macht nichts, sagte sie sich. Es ist ja niemand sonst hier.

    Bis jetzt.
    Sie begann auf die Überbleibsel ihres Hauses zuzugehen.
    Dass sie nicht länger ein Dach über dem Kopf hatte und alles, was sie besessen hatte, wahrscheinlich kaputt war und ihr Leben nie wieder so sein würde wie vor dem Beben, kam ihr nur am Rande in den Sinn.
    Erst später, nahm sie an, würde ihr der Verlust so richtig schmerzhaft bewusst werden.
    Im Moment war das Einzige, was ihr wichtig war, die Sicherheit ihrer Mutter und ihres Vaters.
    Wenn es ihnen gutgeht, dachte sie, dann kommt der Rest auch in Ordnung.
    Und wenn Pete nichts passiert ist.
    Aber sie hatte gesehen, wie Pete von einem Schuss getroffen zusammengebrochen war. Vielleicht hatte er irgendwie davonkriechen können. Aber warum hätte er das tun sollen? Vielleicht hatte ihn die Frau in ihrem Lincoln mitgenommen. Oder irgendeiner dieser abgerissenen Plünderer hatte ihn in seinem Einkaufswagen abtransportiert - aus Gründen, die so furchtbar waren, dass sie sich lieber keine Gedanken darüber machen wollte.
    Denk einfach nicht an ihn.
    Barbara betrat die Eingangstreppe.
    Das Haus sah aus wie eine ausgebombte Ruine.
    Ich habe noch nie eine ausgebombte Ruine gesehen, sagte sie sich. Na ja, in Dokumentarfilmen schon.
    Aber sie hatte etwas gesehen, an das sie sich jetzt erinnert fühlte … die ausgebrannten Häuser bei den Aufständen von 1992 in L. A.
    Aber diese Häuser waren alle schwarz gewesen, verkohlt und rauchgeschwärzt. Hier hatte es keine Brände
gegeben. Stattdessen war alles aufgerissen, zersplittert, auseinandergebrochen, zerschmettert und unter den Lasten begraben.
    »Mom?«, rief sie. »Mom, bist du da?
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher