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Die Tuchhaendlerin von Koeln Roman

Titel: Die Tuchhaendlerin von Koeln Roman
Autoren: Karina Kulbach-Fricke
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    W illst du so lieb sein und mir den Sessel etwas näher ans Fenster rücken, Kind? Ja, danke, so ist es gut. Ich mag ja alt sein, aber neugierig bin ich noch immer. Ich will sehen können, was draußen auf der Gasse passiert.
    Und holst du mir vielleicht noch eine Decke für meine Knie? Du weißt ja, meine alten Knochen frieren so leicht, obwohl es noch nicht Winter ist. So ist es recht. Du bist eine gute Tochter.
     
    Ich habe zehn Kinder zur Welt gebracht, davon leben jetzt noch acht. Das ist eine Menge. Viele Frauen müssen die Hälfte ihrer Kleinen als winzige Leichen zu Grabe tragen. Manchen bleibt nicht ein einziges Kind. Oder sie wünschen sich Kinder, und bekommen keine. Das ist schwer zu ertragen. Solch ein bitteres Schicksal ist mir erspart geblieben.
     
    Von meinen Kindern haben bisher alle außer dir geheiratet und mir viele, viele Enkel geschenkt. Wenn ich richtig gerechnet habe, leben davon noch etwa ein Dutzend. Das ist ein Zeichen für Gottes große Gnade. Aber von all diesen zahlreichen Nachkommen bist du mir am allerliebsten, meine jüngste Tochter, meine Methildis. Du brauchst gar nicht den Kopf zu schütteln, es ist so. Wer sich so liebevoll um eine alte Frau kümmert, der muß ein gutes Herz haben. Und klug und begabt bist du auch, das macht mich glücklich.
Jetzt bin ich eine alte Frau; mehr als sechzig Sommer habe ich gesehen. Meine Haut ist faltig und weiß mein Haar. Aber in meinem Herzen verborgen bin ich noch immer die junge Mutter, die Braut, das kleine Kind, das ich einst gewesen.
    Du wirst es kaum glauben können, aber bis heute habe ich niemals an meinen Tod gedacht. Natürlich weiß ich, daß das Leben eines jeden Menschen endlich ist, also auch das meine; doch es schien mir niemals nötig, mir über mein Sterben Gedanken zu machen. Aber heute war dein Bruder Henrich bei mir. Ich wollte mich mit ihm über den Erzbischof und seine Einstellung zu den Kölner Bürgern unterhalten, ein Thema, das ich für sehr wichtig halte und das mich sehr beschäftigt. Und was mußte ich feststellen? Henrich hörte gar nicht richtig zu; offenbar war es ihm wichtiger, rasch zu seiner jungen Braut zurückkehren zu können, als mit seiner alten Mutter Dinge zu besprechen, die bedeutsam für seine Handelstätigkeit sein können.
    Nun ja, Henrich ist jung; die Einsicht mag ja noch kommen, und als Kaufmann macht er sich schon recht gut. Aber ich habe mich daran erinnert, welch großes Interesse ich immer an den Belehrungen durch meinen Großvater und meine Mutter hatte, und mit welcher Freude ich von klein auf deren Wissen in mich eingesogen habe. Und da du mir, meine liebe Tochter, am ähnlichsten bist, habe ich beschlossen, meine Erfahrungen an dich weiterzugeben.
    Mein Gedächtnis ist noch frisch und hat vieles bewahrt, was den jungen Leuten unbekannt ist. Wenn ich sterbe - und dieser Tag wird nicht mehr allzu fern sein -, gehen all meine Erinnerungen für immer dahin. Damit dies nicht geschieht, ist es wichtig, daß ich sie vorher weitergebe, und dafür habe ich dich ausgewählt. Hast du genügend Geduld, um den Erzählungen einer Greisin zuzuhören? Du sollst alles aufschreiben. Nein, nicht jetzt, während ich dir berichte; ich möchte deine ungeteilte Aufmerksamkeit. Schreib es auf,
wenn ich schlafe. Ich bin alt und brauche immer wieder eine Stunde Ruhe, dann kannst du schreiben.
    Meinetwegen kannst du dir Stichpunkte auf der Wachstafel notieren.

ab 1150
    N un höre:
    Im Jahre des Herrn 1150 wurde ich geboren, kurz nach dem schrecklichen Stadtbrand, der unzählige Häuser meiner Vaterstadt Köln verschlungen hat. Meine Großmutter Sophia, nach der ich benannt wurde, hat dabei ihr Leben unter einem brennenden Balken verloren. Mein Vater hat oft erzählt, daß die Familie damals fürchtete, mein Großvater Eckebrecht würde ihr sehr bald ins Grab folgen, so tief trauerte er um sie. Aber dann kam ich zur Welt. In seiner überschäumenden Freude packte mich mein Vater, kaum daß die Hebamme mich abgenabelt hatte, und rannte mit mir den kurzen Weg zum Hause seines Vaters, um mich ihm auf der Stelle zu zeigen. Und als dieser mich sah, fand Eckebrecht den Weg ins Leben zurück - sagte mein Vater.
    Ich liebte und schätzte meinen Großvater Eckebrecht ganz außerordentlich, aber so schmeichelhaft es für mich wäre, ihm seinen Lebensmut zurückgegeben zu haben, so scheint mir doch, daß er auch ohne mich stark genug war, auch in seiner tiefen Trauer am Leben festzuhalten.
    Hingegen habe ich nie
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