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Das Hexenkraut

Das Hexenkraut

Titel: Das Hexenkraut
Autoren: Franziska Gehm
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Stelle, an der die Schwarzleiberin so plötzlich im See versunken war. Alle, bis auf Marthe und Henrich. Ihre Blicke folgten einer kleinen Blasenspur. Sie zog sich vom Steg über den See auf eine Brücke zu, die über einen kleinen Seitenzufluss des Sees führte.
    Marthe ließ die Blasenspur keine Sekunde aus denAugen. Sie hielt die Luft an, hatte die Augen weit aufgerissen und war schneeweiß im Gesicht. Sie biss sich auf die Unterlippe, damit sie zu zittern aufhörte. Die Blasenspur war jetzt fast an der Brücke angekommen. Sie war kaum noch zu erkennen. Wurden die Blasen immer weniger oder sah es aus der Entfernung nur so aus? Auf einmal lief Marthe ein eiskalter Schauer über den Rücken. Die Blasen! Sie waren nicht mehr zu sehen! Keine einzige. So sehr Marthe sich auch anstrengte, etwas zu erkennen   – die Wasseroberfläche in der Nähe der Brücke war spiegelglatt. Was hatte das zu bedeuten? War Jakob die Luft ausgegangen? Hatte die Luft in der Tierblase für ihre Mutter nicht ausgereicht? Marthe presste die Hände zusammen und betete, dass ihre Mutter und Jakob nicht leblos am Grund des Harzensteinersees lagen.
    Plötzlich sah sie, wie sich die Wasseroberfläche direkt unter der Brücke kräuselte. Eine Sekunde später tauchte etwas auf. Es war kaum zu erkennen. Es konnte ein menschlicher Kopf sein. Aber genauso gut auch ein Biber oder eine große Ratte. Marthe kniff die Augen zusammen. Einen Moment war sie sich fast sicher, dass es ein Kopf war. Doch im nächsten wusste sie nicht, ob es nur eine Wunschvorstellung war.
    Auf einmal erklang Pferdegetrappel. Von der anderen Seite des Flussarms kam eine Gruppe Reiter auf die Brücke zu. Sie saßen auf stattlichen Pferden, deren Felle rotbraun und schwarz in der Nachmittagssonne glänzten. Die Reiter selbst waren farbenprächtig und üppig gekleidet. In ihrer Mitte ritt ein großer, schlanker Mann. Er trug einen schwarzen Hut mit einer Feder und einen schwarzen Rock mit eng anliegenden Ärmeln. Den Hals schmückte ein goldenes Tuch, an den Schuhen blitzten prächtige Schnallen.
    Marthe erkannte den Mann sofort: Es war der Landherr. In der rechten Hand hielt er die Zügel, in der linken hielt er zwei Hundeleinen. An der einen Leine lief ein Dobermann, an der anderen eine Dogge. Marthe hatte den Landherrn noch nie ohne diese beiden Hunde gesehen. Sie gehorchten ihm aufs Wort. Die Leute erzählten sich, der Landherr würde ihnen mehr vertrauen als seinen Leibwächtern. Kam dem Landherrn jemand zu nahe, knurrten die Hunde sofort und fletschten die Zähne.
    Als sich die Gruppe der Reiter der Brücke näherte, reckten beide Hunde unruhig die Köpfe. Der Dobermann schnüffelte in der Luft, die Dogge über den Boden. Kaum war der Landherr mit seinem

    Der Landherr beobachtete seine Hunde mit gerunzelter Stirn. Sie standen auf der Brücke, wedelten mit den Schwänzen und bellten. Der Dobermann lief aufgeregt von einem Brückenrand zum anderen. Die Dogge versuchte, ihre Nase durch ein Astloch in einem der Balken zu stecken. Was hatten sie entdeckt? Was war es, das sie so beunruhigte? Der Landherr ließ den Blick über die Brücke schweifen. Er konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Der Dobermann streckte den Kopf gerade über den Brückenrand und bellte nach unten auf den See. Da erst verstand der Landherr: Seine Hunde hatten nichts
auf
der Brücke entdeckt, sondern
unter
der Brücke. Und so, wie sie bellten, war es nicht nur ein Biber.

Ein Zeichen Gottes

    Marthe hatte den Landherrn die ganze Zeit beobachtet. Als sie sah, wie er jetzt auf die Wasseroberfläche starrte, stockte ihr der Atem. Seine Hunde bellten wie verrückt, zogen an den Leinen und liefen aufgeregt hin und her. Der Landherr richtete sich im Sattel auf und spähte über das Brückengeländer auf den Harzensteinersee. Doch offenbar konnte er im Wasser nichts erkennen. Er löste beide Füße aus den Steigbügeln, beugte den Oberkörper kurz nach vorne und sprang vom Pferd. Marthe legte die Hände vor den Mund und unterdrückte einen Aufschrei.
    Zögernd folgte der Landherr seinen Hunden, die ungestüm an den Leinen zerrten und zu einem der Brückenpfosten drängten. Plötzlich war vom Steg ein durchdringender, grauenerregender Schrei zu hören. Sofort erstarrte der Landherr in seiner Bewegung. Selbst die Hunde verstummten. Der Landherr, die Reiter und die Hunde drehten sich um und sahen zum Steg.
    Auch Marthe wandte den Kopf. Der Richter, der Gerichtsschreiber und alle anderen Umstehenden starrten,
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