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Das Hexenkraut

Das Hexenkraut

Titel: Das Hexenkraut
Autoren: Franziska Gehm
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nickte. »Das fragt sich jedes Kind. Nur die Ratsherren fragten sich das nicht. Sie ließen die Magd ins Malefizhaus sperren. Tagelang saß sie im Gefängnisturm. Dann wurde sie gütlich von den Richtern befragt. Die Magd schwor bei Gott, nichts Unrechtes getan zu haben. Doch dann kam es zur peinlichen Befragung.« Der Alte sah die Kinder ernst an. »Ihr wisst, was das ist?«
    Marthe nickte. »Ein Verhör mit Foltermitteln.«
    »Unter der Folter gestand die Magd, Gott abgeschworen und sich mit dem Teufel eingelassen zu haben. Mit seiner Hilfe habe sie das Essen des Kaufmanns verhext und seine Waren verdorben.«
    »Also war sie doch eine Hexe«, sagte Marthe. »Sonst würde sie so etwas nie gestehen.«
    Der Alte presste die Lippen aufeinander. »Ich hatte dem Scharfrichter damals eine Salbe für seine kranke Tochter gegeben. Er konnte nicht zahlen. Ich sagte, er solle sich später darüber sorgen, wenn es seiner Tochter besser ging. Er war damals beim peinlichen Verhör anwesend und berichtete mirheimlich davon. Die Folter hörte sich so bestialisch und grausam an   – vermutlich würde man alles sagen, nur, damit diese Schmerzen endlich aufhören. Selbst wenn sie der Magd unterstellt hätten, sie wäre ein zehnköpfiger Drache, hätte sie Ja gesagt.«
    »Wurde die Magd als Hexe verurteilt?«, fragte Jakob.
    »Ja, zum Tod durch das Feuer. Doch da sie ein Geständnis abgelegt hatte, wurde sie als Akt der Gnade enthauptet, bevor sie verbrannt wurde. Fast alle Einwohner kamen, um bei der Hinrichtung zuzusehen.« Der alte Mann starrte einen Moment auf den Boden. »Die Magd hatte nicht nur ein Geständnis abgelegt, sie hatte auch Namen von anderen Hexen genannt. Angeblich hatte sie diese Hexen beim Hexensabbat getroffen.« Der Alte hielt kurz inne. »Darunter war auch meine Frau. Die Magd hatte behauptet, meine Frau hätte die Flugsalbe hergestellt, mit deren Hilfe sie zum Hexensabbat ausflogen.«
    Jakob und Marthe sagten kein Wort und sahen den Alten mit großen Augen an.
    »Zusammen mit vier anderen Frauen wurde meine Frau noch am selben Tag verhaftet und ins Malefizhaus gesteckt. Ich durfte sie nicht besuchen. Der Scharfrichter verriet mir nur, dass es nicht gutum sie stand. Man hatte ihr alle Kleider genommen und sie in einen einfachen Leinensack gesteckt, die Haare geschoren und sie auf Hexenmale untersucht. Bei der gütlichen Befragung durch die Richter hatte sie bereits mehrmals abgestritten, eine Hexe zu sein.«
    »Aber Ihr wart doch ein angesehener Mann. Bestimmt konntet Ihr etwas dagegen unternehmen«, sagte Jakob.
    »Das dachte ich auch«, erwiderte der Alte. »Drei der angeklagten Frauen waren ebenfalls verheiratet. Ich wollte mich mit ihren Männern zusammenschließen und gegen die Verhaftung und Anschuldigungen klagen. Doch einer der Männer hatte Angst, sich gegen die Richter, Ratsherren und den Bürgermeister aufzulehnen. Ein anderer hielt seine Frau tatsächlich für eine Hexe. Der Dritte war der Schellenmacher Siberecht und ein Freund von uns. Gemeinsam mit ihm sprach ich beim Bürgermeister vor. Doch der Bürgermeister berief sich auf die Bibel und den Hexenhammer, ein Buch zur Rechtsprechung. Würden unsere Frauen keine Hexen sein, wie wir sagten, dann würde sich das im Verlauf des Prozesses herausstellen. Wir müssten uns also keine Sorgen machen.«

    »Aber sie gestanden alle bei der peinlichen Befragung, oder?«, fragte Marthe leise.
    Der Alte nickte. »Ich sah meine Frau zum letzten Mal auf dem Scheiterhaufen. Ich erkannte sie kaum wieder, so geschunden und ausgezehrt sah sie aus. Ihre Augen hatten jeglichen Glanz verloren. Als sich unsere Blicke trafen, zeigte sie keine Regung.« Der Alte hielt einen Moment inne. Seine Hände zitterten. »Man hatte ihr ein Schwarzpulversäckchen um den Hals gehängt, das ihr den Feuertod erleichtern sollte. Nach der Hinrichtung fing mich der Scharfrichter ab. Er erzählte mir, dass meine Frau bei der Besagung auch meinen Namen genannt hatte.«
    »Was?«, rief Marthe. »Sie hat ihren eigenen Mann beschuldigt?«
    Der Alte nickte traurig. »Könnt ihr euch vorstellen, welche Schmerzen einem Menschen zugefügt werden müssen, damit er so etwas tut?«
    Jakob schloss einen Moment die Augen. Bei dem Gedanken an einen Scheiterhaufen, an eine peinliche Befragung und ein Malefizhaus wurde ihm schwindelig.
    »Daraufhin habe ich meine Habseligkeiten gepackt und bin noch in derselben Nacht geflohen. Als ich beim Schellenmacher vorbeikam, um ihnabzuholen, war es bereits zu
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