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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz
Autoren: Tad Williams
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der Mundwinkel verriet Unmut. »Das Tun meines verstorbenen Gemahls enträtseln zu wollen, habe ich längst aufgegeben.«
    Ihre Gedanken waren noch schneidender als der Wind vom tosenden, schwarzen Meer her. »Es ist nicht ...« Er rang darum, sich trotz des Wirbels fremder Erinnerungen und Impulse zu konzentrieren. »Es spielt ohnehin keine Rolle. Was sie wollte, meine ich. Sie hat mich hierhergeschickt, und ... dann hat Euer Gemahl mir die Feuerblume übergeben.«
    Sie sah ihn an, und ihr Gesicht zeigte etwas, das nicht ganz an Mitgefühl heranreichte. »Ist es schmerzhaft, Kind?«
    »Ja.« Das Denken fiel ihm schwer. »Nein, nicht schmerzhaft. Aber es ... ich habe das Gefühl, es ist zu viel für mich. Es wird mich demnächst ...
ertränken ...«
    Sie machte ein paar Schritte auf ihn zu, den Kopf ein klein wenig schief gelegt, als ob sie lauschte. »Ich kann dich nicht fühlen, wie ich ihn immer fühlen konnte — aber dennoch bist du da. Wie seltsam! Du bist wahrhaftig
shih-shen'aq.«
Das war ein Gedanke, der kein Wort seiner Sprache wurde, sondern einfach nur auf ihn zuwehte und seine Bedeutung hinter sich herzog —
erblüht, in Blüte stehend, die Blüte im Herzen tragend.
Es bedeutete: von der inneren Komplexität und Verantwortungslast der Feuerblume lodernd.
    »Aber was heißt das?«, fragte er flehend. »Gibt es gar keine Möglichkeit, mein Denken zum Schweigen zu bringen? Ich werde noch verrückt. Der Lärm, er wird ... immer gewaltiger?« Und so war es, es wurde immer schlimmer, schon seit er es von Ynnir erhalten hatte, dieses Fieber in seinem Blut, so schrecklich und tödlich wie das Leiden, das ihn zu Hause in Südmark beinahe umgebracht hatte, aber ein Fieber ohne Hitze, ganz anders als jede irdische Krankheit. »Bitte ... Saqri ... helft mir.«
    Etwas regte sich in ihrem Gesicht. »Aber ich kann da nichts tun, Menschenkind. Ebenso gut könntest du mich bitten, dich vor deinem eigenen Blut oder deinen eigenen Knochen zu erretten. Es ist jetzt in dir — die Feuerblume
ist
du.« Sie wandte sich zum Meer. »Und sie ist mehr als das. Sie ist meine ganze Familie — alles, was wir gelernt haben und was wir sind. Eine Hälfte von ihr ist in dir. Sie wird dich vielleicht töten.« Sie machte eine trügerisch kleine Geste, deren Bedeutungen sich wie Wellenringe nach allen Seiten ausbreiteten —
Unser ist die Niederlage
war eine Bedeutung, eine seltsame Mischung aus Resignation, Furcht und Stolz. »Und die andere Hälfte ist in mir und wird gewiss mit mir sterben.« Sie sah auf, und erstmals glaubte er, in ihrem harten, vollkommenen Gesicht tatsächlich so etwas wie Mitleid zu sehen. »Fasse Mut, Sterblicher. Der Ozean schlägt an diese schwarze Küste, seit die Götter hier gelebt und gekämpft haben, aber er hat das Land dennoch nicht verschlungen. Eines Tages wird er es tun, aber noch ist dieser Tag nicht da.«
    Alles, was sie sagte, erzeugte in Barricks Kopf Wellenringe, so wie Steine, die man in einen Teich wirft, und jeder Wellenring schnitt sich mit einem Dutzend anderer und erfüllte ihn mit ahnungshaften Erinnerungen und Gedanken, für die die Sprache seines Denkens keine rechten Worte hatte.
    Schwarze Küste ...
    Die ersten Schiffe zerschellten hier, aber die zweite Flotte überdauerte. Die, die unter den Wellen singen ... Horcht!
    Es war, wie im Glockenturm eines Tempels zu stehen, während die mächtigen Bronzeglocken den Gebetsruf erschallen ließen. Die Stimmen schienen ihn bis ins Mark zu erschüttern — und gleichzeitig war die Attacke so lautlos wie ein raffiniertes Gift. »O Götter. Ich ... halte es nicht aus.«
    »Aber warum hat sie es getan?« Saqri schien ihn gar nicht zu hören, blickte in den wolkigen Himmel, als könnte die Antwort dort umherwirbeln. »Ich verstehe ja, dass Ynnir die Feuerblume an einen Sterblichen weitergegeben hat, so verrückt es auch ist — mein Gemahl hätte, um Frieden herbeizuführen, jedes Hasardspiel gewagt. Aber warum sollte Yasammez ihn mit dem verspotten, was ihr selbst am teuersten ist? Warum sollte sie dich überhaupt hierhergeschickt haben?«
    Ihr hohes Alter,
spekulierten Stimmen.
Auch die Mächtigsten sind nicht gegen Verfall gefeit ...
    Hass,
sagten andere, selbst zornerfüllt.
Yasammez hat ihr großes Haus auf den Fels ihres Hasses gebaut ...
    Barrick verstand nicht, warum niemand, nicht Saqri und nicht einmal die Stimmen der Feuerblume, auf das kam, was für ihn so offenkundig war. Wussten sie wirklich so wenig von der Verzweiflung, diese
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