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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz
Autoren: Tad Williams
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Wesen, die doch mehr darüber hätten wissen sollen als irgendjemand sonst — die ihr Leben als unausweichliche, tausendjährige Niederlage betrachteten?
    »Sie hat nicht ... den König verspottet«, sagte er, und es war schwer, aus der Kakophonie seiner Gedanken und Sinne Worte zu machen. »Sie hat ... sich selbst verspottet.«
    Saqri fuhr herum und sah ihn an. Wegen ihrer seltsam steinernen Miene glaubte Barrick einen Moment lang, sie würde ihn schlagen oder ihre Eisettins rufen, damit sie ihn enthaupteten. Aber sie warf den Kopf in den Nacken und lachte, eine kehlige Eruption von Zorn und Belustigung, die ihn verdutzte.
    »Oh! O Menschenkind!«, sagte sie. »Du hast mich etwas gelehrt. Eine solche Rarität darf nicht zu schnell enden? Ich werde die Wünsche meiner Urgroßmutter achten, so obskur sie auch sein mögen, und wir werden versuchen, die Feuerblume zu dämpfen, zumindest so lange, bis du gelernt hast, mit ihr zu leben.«
    »Ist ... geht das denn?«
    Sie lachte wieder, aber diesmal war es ein trauriges Lachen. »Es ist noch nie versucht worden. Es war nie nötig. Aber es gab ja auch noch nie einen Spross der Feuerblume wie dich.«
    Wie eine wandelnde weiße Flamme führte sie ihn über den schwarzen Sand zurück zum Fuß der Felstreppe, wo ihre panzerhäutigen Krieger warteten, die Augen nur ein Glitzern unter der horngepanzerten Stirn. Die riesigen Kreaturen wichen mit erstaunlicher Anmut auseinander, um sie und Barrick durchzulassen, und folgten ihnen dann den gewundenen Treppenpfad hinauf nach Qul-na-Qar.
    In der Festung war es für Barrick noch schlimmer: Die uralten Mauern und Gänge lösten in seinem Kopf so viele Gedanken aus, dass die Stimmen durcheinanderwirbelten wie ein Schwarm aufgescheuchter Fledermäuse; nur mit Mühe schaffte er es, Saqri zu folgen. Er stolperte ein paarmal, fühlte aber sofort, wie ihn die breite, steinharte Hand eines der Leibwächter am Arm fasste und aufrecht hielt, bis er wieder Tritt gefasst hatte.
    Die Eisettins waren jetzt nicht mehr die Einzigen, die ihnen folgten. Sobald Saqri die Festung betreten hatte, war, fast so plötzlich wie die Stimmen der Feuerblume, ein Schwarm von Wesen aufgetaucht, Qar jedweder Größe und Gestalt, die Barrick jedoch kaum zu bemerken schienen. Um die Königin scharten sie sich, in den Stimmen Sorge, ja sogar Angst um Saqris Gesundheit, und jene, die nicht in Lauten sprechen konnten, fanden andere Wege, ihre Beunruhigung kundzutun, sodass eine wahre Wolke der Besorgnis Barrick und der Königin durch die großen Haupthallen und die Weinende Treppe hinab folgte. Das Geschnatter all dieser Gedanken und die wirbelnden Feuerblumenerinnerungen prasselten auf Barricks Verstand ein wie Hagelschlossen.
    Wieder stolperte er. Er wusste nicht mehr genau, wie er seine Beine dazu bringen konnte, richtig zu funktionieren.
    »Ich ... kann nicht ...«, hob er an, verstummte dann aber und starrte sie nur an, Saqri, ihre Leibwache, ihr Gefolge von Bittstellern. Sie alle veränderten sich, dehnten sich aus wie Schemen aus Rauch, lösten sich auf unter diesem Bombardement von Lärm, dieser Unmenge Leben, dieser Unmenge
Erinnerung.
Er konnte sich nicht mehr erinnern, was er hatte sagen wollen. Die jetzt nicht mehr erkennbaren Gestalten verschmolzen zu einem dahinschwindenden Wirbel von Farbe inmitten des Schwarz, und das Getöse in seinem Kopf brach plötzlich ab. Als der Lichtstrudel wie in einem Abflussloch verschwand, fiel Barrick ins Nichts, überließ sich aber dankbar dem Dunkel.
    »Komm zurück«, wisperte die Stimme. »Tritt heraus zu mir, Menschenkind. Das Licht hier tut gut.«
    Er wusste weder, wer er war, noch, wer da zu ihm sprach. Er wusste nicht, wo er sich befand und warum sich das Dunkel um ihn herum so riesig anfühlte — ein Ort, wo man tausend Jahre fallen konnte, ehe man auch nur merkte, dass man fiel ...
    »Komm zurück.«
Ein winziges Flackern, ein Lichtschimmer, wie er schwächer nicht sein konnte, erschien vor ihm. »Komm hierher. Komm, lauf mit mir über diese grünen Auen, Kind. Da, wo du hinwolltest, ist es zu kalt.«
    Er schlug die Augen auf, oder jedenfalls schien es ihm so: Der Lichtschimmer wurde größer und intensiver. Grün und Blau und Weiß, die Farben barsten daraus hervor, und ihm war, als tränke er sie in sich hinein wie ein Dürstender Wasser. Die Wolken, das Gras, die fernen Berge ... und was war das da? Etwas Weißes glitt aus dem grauen Himmel auf ihn zu, ein mächtiger Vogel, die Schwingen so weit, als streiften
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