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Das Herz der Wueste

Das Herz der Wueste

Titel: Das Herz der Wueste
Autoren: Meredith Webber
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hob den Kopf, ließ ihn kreisen, bewegte die breiten Schultern, um die Verspannung zu lösen. Für Sekunden trafen sich ihre Blicke, doch Jenny konnte seinen nicht recht deuten.
    „Wollen wir tauschen?“, schlug sie vor. „Sie sitzen seit einer Stunde in dieser gebückten Haltung.“
    Wieder sah er sie an. Intensiv. „Nähen Sie gern?“
    „Eigentlich nicht.“ Wie schaffte er es, dass sie nervös wurde, wenn er sie anschaute? Schließlich war er nur ein Kollege.
    Das Problem war nur, dass sie noch nie einen Kollegen gehabt hatte, der so aussah wie dieser. Und dass sie seit langer, langer Zeit … körperlich nicht mehr auf einen Mann reagiert hatte.
    Jenny zwang sich, bei der Sache zu bleiben. „Aber ich habe die meiste Zeit meines Krankenhausdienstes in der Notaufnahme verbracht und genügend Erfahrung gesammelt.“
    Schon wieder klang sie schnippisch. Es ärgerte sie einfach, wie sehr ihr dieser Mann unter die Haut ging! Weil sie sich zu ihm hingezogen fühlte?
    Blödsinn, natürlich nicht.
    „Ich bin sicher, dass Sie genauso gut wären wie ich, aber ich habe damit angefangen und führe es auch zu Ende.“
    Bald waren alle Wunden versorgt und verbunden. Da Jenny zuerst fertig war, überprüfte sie wieder Blutdruck und Puls.
    „Sein Blutdruck sinkt“, erklärte sie besorgt. „Sie haben ihn vorhin gründlich untersucht – sind Sie sicher, dass wir keine tiefen Wunden übersehen haben?“
    Kamid nickte. „Am unteren Rücken und im Bauchbereich sind Spuren, die aussehen, als wäre er dort getreten worden. Vielleicht innere Blutungen an Milz oder Nieren. Ohne Ultraschall oder ein Röntgengerät lässt sich das nicht zuverlässig feststellen.“
    „Haben Sie ein Funkgerät im Wagen? Kennen Sie sich mit der lokalen Notfallversorgung aus? Möglicherweise können wir einen Hubschrauber anfordern.“
    „Sie wurden doch sicher mit dem Auto hergefahren und haben eine Nacht in einem Wüstencamp verbracht. Das tun wir – ich meine die Einheimischen – nicht, um die Helfer möglichst vielen Strapazen auszusetzen, sondern wegen der Berge rundherum. Die unberechenbaren Auf- und Abwinde bergen ein hohes Risiko, weshalb hier keine Helikopter eingesetzt werden. Und für Kleinflugzeuge steht keine anständige Piste zur Verfügung.“
    Er betrachtete sie, und sie hatte das Gefühl, als beobachte er ihre Reaktion auf seine Erklärung, doch dann sprach er weiter.
    „Was das Funkgerät betrifft, so habe ich eins im Jeep, aber Sie sollten auch eins besitzen. Eins im Auto und eins in Ihrem Büro, oder wo auch immer Sie es aufbewahren wollen. Jedenfalls gehören sie zu der Ausstattung, die Sie zu Beginn Ihres Einsatzes erhalten haben.“
    Jenny lächelte ihn an. „Das im Wagen ist zwei Tage nach unserer Ankunft verschwunden, das andere ein paar Tage später. Funkgeräte kann man leider nicht vergraben. Egal, wie gut man sie einwickelt, es geraten immer Sandkörnchen hinein, und dann gibt es schnell seinen Geist auf.“
    Kamid konnte ihr Lächeln nicht erwidern. Er war wütend. Die Menschen stahlen von einer Hilfsorganisation, was sie zusammenraffen konnten! Andererseits, diese Flüchtlinge hatten so wenig zum Überleben, dass er es ihnen kaum verdenken konnte.
    Wie sollte er das in Ordnung bringen? Wie das Gleichgewicht in seinem Land wiederherstellen? Zu lange lag schon so vieles im Argen, er und sein Zwillingsbruder würden ein halbes Leben brauchen, um die Missstände zu beseitigen. Arun arbeitete in der Stadt, sprach dort mit Leuten, erkundigte sich nach der Regierung. Gab es Korruption, und wie weit war sie gediehen, seit sein Vater an Einfluss verloren hatte?
    Oder hatten die Verantwortlichen an den Schaltstellen der Macht nur die Stadt im Blick gehabt und schlicht ignoriert, was im Landesinnern vor sich ging?
    Beschämt musste er sich eingestehen, dass Arun und er lange Zeit auch nicht genauer hingesehen hatten. Gut, für seinen Bruder konnte er nicht sprechen, aber nichts, weder Arbeit noch Fortbildung noch die Befehle seines Vaters, sich aus den Amtsgeschäften herauszuhalten, konnte entschuldigen, dass er, der Erbe des Scheichthrons, sein Volk vernachlässigt hatte.
    Nichts!
    Akbar stöhnte, und Kamid verbannte die bedrückenden Gedanken.
    „Sinkender Blutdruck deutet auf jeden Fall auf eine Blutung hin. Wir sollten eine Blutspende in Betracht ziehen.“
    Die Frau, die er an diesem Ort der Welt nicht erwartet hätte, nickte. Sicher, er war von Anfang an informiert gewesen, dass eine Ärztin das Programm leitete,
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