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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Autoren: John Boyne
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Russland viele Leute gäbe, die uns hassten. Sie sagten, viele von denen würden uns am liebsten tot sehen.
    Sie waren sogar freundlich zu uns, was mich immer wieder überraschte. Sie sprachen mit uns, als bestimmten sie nicht über unser Leben. Sie verhielten sich so, als wäre es uns anheimgestellt, ob wir blieben oder gingen, und wenn sich jemand von uns nach draußen begab, so stellten sie ihm keine Fragen. Doch die Gewehre an ihren Schultern sprachen eine andere Sprache. Ich fragte mich, wann der Tag kommen würde, an dem ich auf jene Tür zuging und sie die Hand hoben, um mir Einhalt zu gebieten.
    Maria erzählte mir, dass du gekommen seist, um mich zu sehen. Anfangs wollte ich es nicht glauben. Es kam mir wie ein Wunder vor. Doch sie schwor hoch und heilig, dass es wahr sei, dass sie dich gesehen und mit dir gesprochen habe. Ich war außer mir vor Freude, doch Mutter erlaubte mir nicht, das Haus zu verlassen. Sie bestand darauf, dass ich mit meinem Unterricht fortfuhr. Natürlich konnte ich ihr nicht sagen, warum ich nach draußen wollt e – denn sonst hätte sie mir nie wieder erlaubt, das Haus zu verlassen. Allein die Vorstellung, dass du so nahe warst, machte mich glücklich, ganz besonders, als Maria mir erzählte, du würdest in jener Nacht wiederkommen. Ich konnte es kaum erwarten, Georgi.
    Als es dunkel geworden war, schlich ich mich nach unten. Ich konnte die Wachen hören, wie sie sich in einem der Salons im Erdgeschoss unterhielten. Es kam mir merkwürdig vor, dass sie sich dort alle versammelt hatten, denn normalerweise war immer einer von ihnen an der Haustür postiert. Das Grundstück war menschenleer, dennoch bewegte ich mich sehr vorsichtig. Der Kies knirschte unter meinen Füßen, und ich fürchtete schon, entdeckt zu werden. Es mag sich seltsam anhören, Georgi, aber meine Sorge war nicht, dass die Wachen merkten, wo ich hinging, sondern dass Vater und Mutter herausfanden, mit wem ich mich treffen wollte.
    Ich ging in die Hocke, als ich am Fenster des Salons vorbeikam, doch etwas ließ mich für einen Augenblick innehalten: Es hörte sich so an, als stritten sie sich. Ich versuchte zu verstehen, was sie sagten, und dann erhob sich eine Stimme über die anderen, und sie verstummten alle und hörten zu, was ihnen diese Stimme zu sagen hatte. Ich maß dem keine besondere Bedeutung bei und ging schnell in Richtung des Zufahrtstors, wobei ich nur an dich denken konnte. Ich sehnte mich nach deiner Umarmung. Ja, ich stellte mir vor, ich träumte, dass du mich von Jekaterinburg wegbringen würdest, dass du meinen Vater von unserer Liebe in Kenntnis setzen würdest, dass er uns umarmen und dich seinen Sohn nennen würde, dass wir beide einfach da weitermachen würden, wo wir in St. Petersburg aufgehört hatten. Maria hatte vielleicht recht. Sie meinte, es sei töricht von mir, zu glauben, du und ich könnten jemals zusammen sein.
    Als ich das Tor erreicht hatte, merkte ich, wie kalt es draußen war. Mein Herz sagte mir, ich solle weiterlaufen und dich suchen, dass du mich schon bald in deinen Armen aufwärmen würdest, doch mein Verstand befahl mir, zurück ins Haus zu gehen und mir einen Mantel zu holen. Es hing einer in der Diele, neben der Tü r – Tatjanas, glaube ich, aber ich war mir sicher, sie würde ihn nicht vermissen. Ich ging zurück und bemerkte, dass das Zimmer, in dem die Soldaten sich unterhalten hatten, nun leer war. Ich fand das merkwürdig und blieb stehen. Ich bangte, dass mein Wunsch nach einem Mantel womöglich doch noch zu meiner Entdeckung führen würde und rechnete jeden Augenblick damit, dass ein paar Soldaten durch die Tür kämen, um draußen eine Zigarette zu rauchen. Aber es kam niemand. Ich wollte natürlich nicht, dass sie kamen, Georgi, aber andererseits beunruhigte es mich, dass sie es nicht taten.
    Einen Augenblick später hörte ich das dumpfe Donnern von Stiefeln auf der Treppe, von vielen Stiefeln. Ich stahl mich durch die Vordertür hinaus und kauerte mich um die Ecke unter einem Fenster nieder. Über mir ging das Licht an, und eine größere Gruppe von Menschen betrat den Raum. Ich konnte die Stimme meines Vaters hören. Er fragte, was das alles zu bedeuten habe, und einer der Soldaten erwiderte, es sei nicht mehr sicher in Jekaterinburg, zum Schutz unserer Familie sei es notwendig, uns unverzüglich an einen anderen Ort zu bringen.
    »Aber wohin?«, fragte meine Mutter. »Und hat das nicht Zeit bis nach dem Frühstück?«
    »Bitte warten Sie hier«,
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