Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus Zeor

Das Haus Zeor

Titel: Das Haus Zeor
Autoren: Jacqueline Lichtenberg
Vom Netzwerk:
Mit diesem Titel war er geehrt worden. Jetzt war die Zeit gekommen, sich diese Ehre zu verdienen. Und er wollte sie sich wirklich verdienen.
    Er ließ Aisha vorausreiten. Als sie eine kleine Lichtung erreicht hatten, in der Strahlen dunstigen Sonnenlichts die dichte Finsternis durchbohrten, hatte er die Zügel angezogen, ohne sie zu warnen. Bis sie es gemerkt und sich umgedreht hatte, um zurückzukommen, hatte Klyd Valleroy eingeholt.
    Die beiden Pferde standen schweißnaß schäumend da und bliesen Dampfwolken in die Stäbe aus Sonnenlicht. Die in der Höhe über ihnen weit ausladenden Baumkronen glichen so sehr dem Inneren einer Kathedrale, daß Valleroy dachte, dies sei ein schöner Ort, um zu sterben. Müde saß er ab, stand knöcheltief in duftenden Fichtennadeln und wartete auf den Kanal.
    Mit einem ruckartigen Ausbruch von Bewegung glitt der Sime auf Valleroy zu, die Tentakel ausgestreckt, das Gesicht unter einer derartigen Anspannung verzogen, daß jeder unbedarfte Gen allein vor Grauen ohnmächtig geworden wäre. Aber in diesem Bruchteil einer Sekunde sah Valleroy kein auf Mord erpichtes wildes Raubtier vor sich, sondern seinen Partner, der Familie und Ansehen geopfert hatte und der jetzt verzweifelt um Hilfe bettelte, damit er die letzte Schmach für seinen Namen vermeiden konnte – die Tötung.
    Etwas tief in Valleroys Innerem reagierte auf diese Bitte und sandte seine eigenen Hände vor, jenen Tentakeln entgegen. Er konnte nicht zulassen, daß Zeor entehrt wurde!
    Als sich die triefenden Tentakel um Valleroys Arme schlangen, durchfuhr ihn ein Empfindungsschauer, fast so, wie der Stoß von Riechsalzen den Nebel der Bewußtlosigkeit beiseite räumt. Er war sich des quetschenden Lippenkontaktes kaum bewußt, der gleich darauf folgte. Diese schmerzhafte Klarheit der Sinne wuchs an, bis Valleroy durch einen Trick völliger Empathie in diesem Austausch Spender und Empfänger zugleich wurde.
    Valleroys eigene Eingeweide wurden von der Not durchgewühlt, und irgendwie erkannte er sie als das, was sie war.
    Als Reaktion auf diese Not in sich selbst schüttete Valleroy alles in ihm vorrätige Selyn aus. Mit wahnsinniger Verzweiflung nährte er dieses Verlangen, das zugleich so bodenlos und so intensiv sein eigenes zu sein schien.
    Langsam nahm die Geschwindigkeit dieses Entzugs ab. Das Verlangen ebbte ab, Valleroy erfuhr eine doppelte Befriedigung, die beide Hälften von ihm beschwichtigte und ihn vor Erschöpfung in die tiefste Dunkelheit hinunterzog, die er je geschaut hatte.
    Es war nicht die Dunkelheit der Besinnungslosigkeit … nicht ganz. Es war eine Dunkelheit der Trennung. Die Dunkelheit der Spaltung. Die Dunkelheit des Zerfalls. Die Dunkelheit, die einem gefährlich grellen Lichtblitz folgt. Er war allein, war wieder nur ein Ich, und da war nur der Schmerz wunder Muskeln ohne das Bewußtsein der glitzernden Nahrung Selyn. Die Selyn-Nager war verschwunden. Sein Körper konnte nicht einmal mehr das stärkste Feldgefälle spüren. Sogar – und jetzt wußte er, was dieser Ausdruck bedeutete – die Selur Nager war verschwunden. Er fröstelte kurz, abgetrennt von einer höheren Wirklichkeit, die mit einem kurzen Blitz für ihn zur Norm geworden war.
    Er öffnete die Augen und stellte fest, daß er auf den Fichtennadeln lag. Neben ihm saß Klyd mit gekreuzten Beinen, die Stirn gerunzelt, und hielt sanft seine Hand. Das Gesicht des Kanals hatte seinen lebhaften, jugendlichen Glanz zurückgewonnen, und seine Augen waren wieder von Vernunft erhellt.
    Tränen brannten in Valleroys Augen.
    „Wir haben es geschafft!“
    „Wir haben es geschafft, aber ich bin mir noch nicht ganz sicher, was wir geschafft haben. Noch nie zuvor habe ich so etwas gefühlt.“
    „Was es auch war, es hat nicht weh getan.“
    „Offenbar nicht“, sagte Klyd und lächelte so, daß seine kantigen Züge weich wurden. „Kannst du stehen?“
    Valleroy setzte sich auf, überrascht, daß er nicht den geringsten Hauch der Qual spürte, die seine ersten Tage und Nächte in Zeor gepeinigt hatte. „Mir geht es gut“, sagte er, wobei er sich auf die Füße stemmte, wie es Klyd gleichermaßen tat.
    Als er sich zu seiner vollen Größe hochreckte, kam Aisha herbeigerannt, die Arme weit ausgebreitet, um ihn zu umarmen. „Hugh!“ Sie schluchzte an seiner Schulter und ließ ihr volles Gewicht gegen ihn fallen. „Ich dachte, du wärst tot!“
    „Ich bin froh, dich so froh darüber zu sehen, daß ich nicht tot bin. Ich liebe dich.“
    „Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher