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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus
Autoren: Kai Meyer
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Dunkelheit.
    Die Mönche hatten Vorräte in Rucksäcken bei sich, die sie bei sparsamem Umgang mehrere Tage lang ernähren würden. Als Kapuziner waren sie Entbehrungen gewöhnt, wenngleich ihnen der öde, schier endlose Abstieg körperlich zu schaffen machte. Ihr bisheriges Leben hatten sie einer Ordensarbeit gewidmet, die von Krankenpflege und Handarbeit geprägt war. Die Kapuziner führten inmitten der Zwei-Millionen-Metropole Rom ein karges Eremitenleben. Studien und wissenschaftliche Tätigkeiten waren ihnen untersagt, sie lebten nur zum Wohle anderer und zur Lobpreisung des Herrn.
    Die Strapazen des Treppenabstiegs waren neu für sie, und alle drei litten unter heftigem Muskelkater, stetig wiederkehrenden Krämpfen und Atemnot. Die Luft dort unten schien dünner zu sein, war vielleicht mit Gasen oder Chemikalien durchsetzt, die nicht zu sehen und nicht zu riechen waren.
    Und dennoch gingen sie weiter, weiter, weiter.
    Der Hölle entgegen.
    Santino blickte auf. Sein Finger preßte die Pausentaste. Er hatte etwas gehört, draußen, vor der Zimmertür. Erst das Rasseln des Aufzuggitters, dann Schritte. Von einer Person? Von mehreren? Er wußte es nicht zu sagen. Jetzt waren die Geräusche verstummt, direkt vor seinem Zimmer.
    War das leises, unterdrücktes Atmen, das er hörte? Ein hauchfeines Wispern?
    Bisher hatte Santino im Schneidersitz auf dem Bett gesessen, das Abspielgerät vor sich auf den Knien. Nun aber erhob er sich. Er trug Sportschuhe, Jeans, ein altes Hemd … Stücke aus der Kleidersammlung. Er hatte einen prallgefüllten Plastiksack aus dem Flur eines Wohnhauses gestohlen, war gerannt so schnell er konnte, bis er in einem stillen Innenhof seine Beute sortiert und die passenden Teile herausgefischt hatte. Die Schuhe waren eine Nummer zu klein und fühlten sich ungewohnt an, nachdem er all die Jahre nur Sandalen getragen hatte. Doch mittlerweile konnte er recht gut darin laufen, auch rennen, wenn es sein mußte.
    So leise er konnte hinkte er vom Bett zur Tür. Er beging nicht den Fehler, zum Lauschen seinen ganzen Körper von innen gegen das Holz zu drücken. Statt dessen stellte er sich mit dem Rücken neben die Tür, beugte dann den Kopf ein Stück vor, bis er ein Ohr an das rissige Furnier pressen konnte.
    Waren das Stimmen? Zwei … oder drei?
    Unendlich langsam legte er eine Hand auf die Türklinke, führte die andere zum Schlüssel, der noch immer im Schloß steckte. Wenn er ihn herumdrehte, würden die Männer vor der Tür es hören. Sie würden wissen, daß sie entdeckt waren, würden sich auf ihn stürzen, ihn festhalten, ihn schlagen und mit sich zerren. Und er würde niemals die ganze Wahrheit über Remeo und die anderen erfahren.
    Nein, so dumm war er nicht.
    Vorsichtig ging er in die Hocke und versuchte, durch das Schlüsselhoch etwas zu sehen. Gewiß, der Schlüssel verdeckte einen Großteil seiner Sicht, doch die hellen Ritzen rechts und links würden ihm verraten, ob dort draußen Bewegung war.
    Santino konnte nichts erkennen. Der Korridor schien leer zu sein.
    Was aber, wenn seine Feinde zu beiden Seiten des Schlüssellochs standen? Sie waren klug, gewiß. Sie wußten, wie man einen wie ihn zum Narren hielt. Nur ein einfacher Mönch, dachten sie und glaubten, leichtes Spiel mit ihm zu haben.
    Aber so einfach würde er es ihnen nicht machen.
    Das Wispern hatte aufgehört, und jetzt hörte er auch keinen Atem mehr. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Sie waren schlau! So schlau! Vielleicht hörten sie auf zu atmen, bevor sie die Tür eintraten und ihn mit Gewalt davonschleppten. Vielleicht gehörte das zu ihrem Plan.
    Santino schlich zurück zum Bett. Er schaltete das Abspielgerät aus. Die Schwärze schien von allen Seiten über das Treppengeländer zu kriechen und füllte jetzt den Bildschirm aus.
    Santino steckte das Gerät zu seinen anderen Habseligkeiten in den Rucksack, lauschte noch einmal Richtung Tür … kein Geräusch, kein Atmen, kein Flüstern -, dann wandte er sich zum Fenster. Er hatte dieses Zimmer mit Bedacht ausgewählt. Vor dem Fenster führte eine kleine Ziegelschräge auf ein flaches Dach. Von dort aus konnte er in das Nebenhaus einsteigen und über eine Treppe auf die Straße gelangen.
    Einen Augenblick lang wurde Santinos Furcht durch heißen Triumph verdrängt, der so ganz untypisch war für ihn und sein bisheriges Leben. Aber er lernte dazu, lernte, sich in der Welt hier draußen zurechtzufinden. Er würde seinen Feinden ein Schnippchen schlagen, bevor sie auch
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