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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus
Autoren: Kai Meyer
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KAPITEL 1
    Das Vermächtnis des Kupferstechers
    Wenn er Bilder sagte, meinte er Kunst.
    Alles andere … die Bilder der Menschen, der Städte, seines Lebens … waren nur Eindrücke, flüchtig und schnell vergessen. Die Wirklichkeit hatte keinen Bestand. Zumindest redete er sich das ein. Es hätte alles soviel einfacher gemacht.
    Manchmal aber, wenn er vor einem ganz besonderen Kunstwerk stand, einem, das ihm den Atem raubte, ihn schwindelig machte, dann fürchtete er, daß selbst diese Empfindungen nur Erinnerungen waren, an all das Schöne, Vollkommene … Erinnerungen an damals.
    An Miwa.
    »Guten Flug gehabt?« fragte der junge Taxifahrer, der ihn vom Flughafen Leonardo da Vinci in die Innenstadt brachte.
    So sind sie, die Italiener, dachte Jupiter; sogar ihren Flughäfen verleihen sie den Anschein von Kultur und Stil. Der ursprüngliche Name des Flughafens Fiumicino existierte nur noch auf sonnengebleichten Autobahnschildern. Überall sonst hieß er Leonardo da Vinci. Welches andere Volk entlieh den Spitznamen eines Flughafens von einem Künstler?
    »Signore?«
    Jupiter blickte auf. »Hm?«
    »Hatten Sie einen guten Flug?« fragte der Fahrer noch einmal und schnitt dabei einen Lastwagen. Hinter ihnen setzte ein wildes Hupkonzert ein.
    »Sicher. Wie ist der Verkehr heute? Brauchen wir lange?«
    »Dreißig Kilometer bis zur Innenstadt.«
    »Das meine ich nicht. Ich kenne die Strecke. Aber sind die Straßen frei?«
    »Baustellen. Berufsverkehr. Aber es geht schon.« Sein Blick im Rückspiegel sagte: Vertrauen Sie mir. Dieser Blick gehört zum Repertoire aller Taxifahrer dieser Welt. In meinem Wagen bin ich König. Und mein Wagen ist der König der Straße. Machen Sie sich keine Sorgen.
    Jupiter lehnte sich zurück und betrachtete vom Rücksitz die öde Landschaft zu beiden Seiten der Autobahn. Die braunen Ackerflächen, die vereinzelten Bauten mit ihren seichten Dachschrägen. Und dann, ein paar Kilometer weiter östlich, die ersten Hochhäuser, grelle Hotelbauten am Rande grauer Ghettoblöcke. Wäsche auf Balkons. Neonreklamen, die bei Tageslicht schmutzig und irgendwie obszön aussahen.
    Zuletzt war er mit Miwa in Rom gewesen, vor fast zwei Jahren.
    »Sind Sie geschäftlich hier?« fragte der Fahrer. Ihm fehlte die Lethargie seiner älteren Kollegen; er war Anfang Zwanzig und noch neugierig auf alles, was von draußen aus der Welt hierherkam. Er trug eine Kappe aus Kordstoff. In seinem Schoß lag ein phosphorgrünes Handy, mit dem er zweifellos seine Freundin anrufen würde, falls es ihm nicht gelang, seinen Fahrgast in ein Gespräch zu verwickeln. Jupiter war nicht danach, eine halbe Stunde lang italienisches Liebesgeplänkel mitanzuhören; er haßte dieses floskelhafte »Bella« nach jedem zweiten Satz. Lieber redete er selbst, gezwungenermaßen.
    »Geschäftlich, ja. In gewisser Weise.« »Sie haben mit Kunst zu tun, oder?«
    Jupiter hob erstaunt eine Augenbraue. Er trug keine Designerkleidung, hatte keine Farbkleckse an den Fingern. »Wie haben Sie das rausbekommen?«
    Der junge Fahrer grinste stolz. »Sie wollen, daß ich Sie zur Kirche Santa Maria del Priorato fahre. Touristen, die sich Kirchen anschauen wollen, lassen sich immer zuerst zum Hotel bringen. Das heißt, daß sie kein normaler Tourist sind. Aber Sie sind Ausländer. Und ein Ausländer, der sich vom Flughafen direkt zu einer Kirche kutschieren läßt, muß dort beruflich zu tun haben. Sie sehen nicht aus wie ein Priester. Demnach haben Sie Interesse an dem Gebäude selbst, nicht wahr? Kunst oder Architektur, eines von beidem.« Er zuckte die Achseln. »Der Rest war Glück.«
    »Für manche ist auch Architektur Kunst.«
    Der Fahrer winkte ab. »Sehen Sie die Wohnblöcke da drüben? Ich wohne in so einem. Und jetzt erzählen Sie mir noch mal was über Kunst und Architektur.«
    »Ich geb mich geschlagen.«
    »Sind Sie Restaurator oder so was? Architekt? Prüfen Sie irgendwelche Bilder auf ihre Echtheit?«
    Okay, dachte Jupiter, was soll’s … »Ich spüre verschollene Kunstwerke auf. Im Auftrag von Sammlern und Museen.«
    »So was wie ‘n Detektiv?«
    »Nur in Sachen Kunst. Keine Angst, ich werde Ihrer Freundin nicht verraten, daß Sie heute nachmittag noch eine andere Frau treffen werden.«
    Der Fahrer verriß das Steuer und streifte dabei um ein Haar einen Subaru auf der Nebenspur. Bei Tempo hundert schaute er über die Schulter nach hinten. »Hey, Sie sind …«
    Jupiter grinste. »Ich hab den Bierdeckel in der Ablage gesehen. Darauf steht
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