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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus
Autoren: Kai Meyer
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bestochen.«
    Jupiter zog kräftiger an einer der Lederfüllungen. Erstaunt stellte er fest, daß sie viel schwerer war, als er erwartet hatte. Etwas war in das Leder eingeschlagen.
    Als er den Gegenstand vorsichtig aus dem Spalt zog, erkannte er, daß es sich um eine rechteckige Platte handelte.
    Coralina bemerkte den prüfenden Blick, mit dem er die Ränder des flachen Pakets musterte. »Zirka einundvierzig mal vierundfünfzig Zentimeter. Plus, minus ein paar Millimeter.«
    Jupiter entfernte vorsichtig den brüchigen Lederumschlag. Eine Metallplatte kam zum Vorschein. Kupfer augenscheinlich, an vielen Stellen grün angelaufen. Ein wenig Feuchtigkeit war also doch durchgedrungen.
    Die Platte war bis zu ihren Rändern mit einem Muster bedeckt. Linien und Schraffuren wirkten bei oberflächlicher Betrachtung wie aufgemalt, doch Jupiter erkannte sofort, daß sie eingekratzt waren. In den Vertiefungen hatte sich schwarze Farbe festgesetzt.
    Er hob die Platte leicht an, berührte sie dabei jedoch nur mit dem Zipfel des Leders. Er wollte keine Fingerabdrücke hinterlassen. Der direkte Lichteinfall verursachte auf dem Metall irritierende Spiegelungen. »Leuchte mal seitlich darauf«, sagte er zu Coralina.
    Da erkannte er, worum es sich handelte.
    »Eine der Druckplatten aus Piranesis Carceri-Zyklus?«
    »Die Vorlage für Blatt sieben«, flüsterte Coralina, als fürchtete sie, das Kunstwerk könne allein durch den Klang ihrer Stimme Schaden nehmen.
    Die Platte zeigte … wie alle sechzehn Carceri-Motive -die Ansicht eines gigantischen Kerkerkomplexes. Vor dem Betrachter öffnete sich das Panorama einer gewaltigen unterirdischen Halle, durchzogen von mächtigen Brücken und Wendeltreppen, kolossalen Torbögen und Mündungen in mehrere Stockwerke. Überall hingen Ketten, und vereinzelt waren Menschen zu erkennen, Gefangene, taumelnd und mit verzogenen Gliedmaßen. Im oberen Teil des Bildes schloß sich gerade eine enorme Zugbrücke über dem Abgrund der Halle. Allein ihr Anblick beschwor in Jupiters Ohren eine phantastische Geräuschkulisse herauf: das Kreischen stählerner Zahnräder, das Knirschen von mächtigen Ketten, das Ächzen der schwarzen Holzbohlen und Verankerungen, vielfach widerhallend und verzerrt von der grandiosen Weite dieser Unterwelt.
    Ihm war schwindelig, als er sich wieder Coralina zuwandte.
    »Weiß man, daß die Druckplatten noch existieren?«
    Sie schüttelte stolz den Kopf. »Nein. Alles, was von den Carceri geblieben ist, sind die Reproduktionen, die Drucke, die Piranesi mit Hilfe der Platten hergestellt hat. Aber die Originale gelten als verschollen.«
    Jupiters Blick wanderte über die Schneisen in der Wand. »Sind das alle sechzehn?«
    »Ja.«
    Er legte die Platte vorsichtig auf den Boden und schlug sie beinahe zärtlich wieder in ihren Lederumschlag ein. Dann schob er sie voller Ehrfurcht zurück in den Spalt.
    »Kein Wunder, daß die Shuvani sie nicht am Telefon erwähnen wollte. Dieser Fund ist eine Sensation, das ist dir klar, oder?«
    »Nein, Jupiter«, entgegnete sie bissig, »ich hab Kunstgeschichte studiert, um mir einen Professor im Tweedjackett zu angeln.«
    Er grinste sie an. »Aber von mir willst du wissen, was die Platten wert sind, oder?«
    Coralina nickte.
    »Du und deine Großmutter, ihr spekuliert auf einen Finderlohn.«
    Plötzlich wich sie seinem Blick aus und schaute zu Boden. »Dem Laden geht es nicht gut. Die Shuvani wird vor die Tür gesetzt, wenn sie nicht umgehend ihre Schulden begleicht. Wir könnten nicht einmal den Umzug bezahlen … mein Gott, all die Bücher -, geschweige denn ein neues Haus.«
    Vorsichtig hob er ihr Kinn mit seinem Zeigefinger an und schaute ihr in die Augen. »Ihr habt nicht vielleicht mit dem Gedanken gespielt, die Platten verschwinden zu lassen?«
    Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich, als sie einen Schritt zurück trat. »Du sollst nur den Wert bestimmen, Jupiter. Wir bezahlen dich dafür, wenn du möchtest.«
    »Mit dem Geld, das ihr von irgendeinem Hehler für die Platten bekommt?« Wenn er noch lauter wurde, würde man ihn unten in der Kirche hören, deshalb senkte er rasch die Stimme. »Diese Dinger sind ein paar Millionen Dollar wert, Coralina. Millionen! So was verkauft man nicht einfach an der Porta Portese zwischen T-Shirts und irgendwelchen Raubkopien.«
    »Es wäre nett, wenn du mich nicht laufend unterschätzen würdest«, gab sie scharf zurück. »Ich kenne Leute, die mit solchen Dingen umgehen können.«
    »Warum hast du sie dann
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