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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus
Autoren: Kai Meyer
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ein Frauenname und ein Apartment in Tiburtina. Ihre Freundin müßte Ihnen das nicht aufschreiben, oder? Schon gar nicht in irgendeiner Kneipe.«
    »Vielleicht hab ich gar keine feste Freundin?«
    »Dann hätten Sie Ihr Handy nicht griffbereit auf dem Schoß liegen.«
    Er konnte sich den Rest nicht verkneifen, auch wenn es überheblich klang: »Ihr Italiener … immer erreichbar für die liebe Familie.«
    Schmollend wandte sich der Fahrer wieder nach vorne. »Scheiße, ich bin froh, daß Sie kein Priester sind. Verdammt froh.«
    »Angst vor der Hölle?« erkundigte sich Jupiter grinsend.
    »Sie nicht?«
    Ich war schon da, dachte Jupiter, aber natürlich sagte er das nicht. Klischees sind Klischees wegen ihrer grundsätzlichen Wahrheit, aber man muß sie nicht auch noch laut aussprechen.
    Eine Weile fuhren sie schweigend. Sie durchquerten die Außenbezirke, bleiche Ladenfronten vor den Wohngebirgen der Apartmentsilos. Zweispurige Straßen, auf denen die Autos dreispurig fuhren. Dann die langen Alleen der Oleanderbäume, die ersten Ruinen kleiner Aquädukte und gelbbrauner Mauerzeilen, antike Pylonen neben dutzendfach überklebten Litfaßsäulen. Dunstschleier über Brunnenbecken, darüber winzige Regenbögen. Alte Männer in dunklen Anzügen, die Mützen tief in die Stirn gezogen. Junge Mädchen mit Miniröcken und teurem Parfüm, süß genug, damit es in die Nasen vorbeifahrender Cabriofahrer drang. Und aus allen Richtungen gelbe Taxis, als erwartete Rom an diesem Tag eine Generalversammlung der Verkehrsgewerkschaft.
    Sie näherten sich der Altstadt.
    Es dauerte einige Augenblicke, bis die Umgebung Jupiter stutzig machte.
    »Wo sind wir denn hier? Santa Maria del Priorato liegt viel weiter südlich. Wir hätten gar nicht so weit in die Stadt hineinfahren müssen.« Er warf dem Fahrer im Rückspiegel einen argwöhnischen Blick zu, aber etwas sagte ihm, daß der Junge keineswegs den Versuch machte, ihn übers Ohr zu hauen. Er wußte, daß Jupiter kein naiver Tourist war, der sich nichtsahnend durch halb Rom fahren ließ und anschließend bereitwillig die viel zu hohe Rechnung zahlte.
    Der Junge fluchte, warf ihm einen grimmigen Blick über die Schulter zu und riß das Steuer zu einer Kehrtwende auf offener Straße herum. Wieder hupte es lautstark, wieder wurden sie nur knapp von anderen Autos und einem ganzen Schwarm röhrender Vespas verfehlt.
    »Ich hab keine Ahnung, warum wir plötzlich hier sind«, preßte der Fahrer zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich hab wirklich keine Ahnung.«
    »Ach, kommen Sie …«
    »Nein, nein«, verteidigte sich der Fahrer, »glauben Sie mir, ich versuch nicht, hier irgendwas abzuziehen. Hier, sehen Sie, ich stelle die Uhr ab.« Mit einem Hieb, der eine Spur zu heftig ausfiel, hielt er das Taxameter an. »Ich hab mich verfahren. Aber ich weiß nicht, warum.«
    »In Gedanken schon in Tiburtina?«
    »Oh, das! Nein, das wird nichts. Das hab ich im Gefühl.« »Sie sind der erste Taxifahrer, den ich je getroffen habe, der sich auf dem Weg vom Flughafen zur Stadt verfährt.« Jupiter schmunzelte. »Ehrlich, eine Premiere.«
    »Schön, daß Sie so viel Spaß in meinem Wagen haben. Empfehlen Sie mich weiter.«
    Eben noch hatte Jupiter geglaubt, ziemlich genau zu wissen, wo sie sich befanden … irgendwo nahe der Via Pellegrino, nicht weit vom Campo dei Fiori -, aber jetzt machte die Umgebung auch ihn ratlos. Seit ihrer abrupten Wende war der Fahrer zweimal abgebogen, und jetzt befanden sie sich im Gewirr enger, dunkler Altstadtgäßchen. Das Taxi spiegelte sich in den dunklen Fenstern als gelber Farbklecks, der wie ein Irrwisch vorübersauste.
    »Sie fahren zu schnell«, bemerkte Jupiter.
    »Ich weiß nicht, wo wir sind. Das macht mich nervös.«
    »So was wie einen Taxischein gibt’s doch auch hier, oder?«
    »Machen Sie sich nur lustig. Glauben Sie mir, das ist mir noch nie passiert. Noch nie.«
    »Klar, natürlich.«
    »Ich bin abgebogen, und da wußte ich noch genau, wo wir waren. Aber jetzt …« Er zog sich die Kappe vom Kopf und wischte damit Schweiß von seiner Stirn.
    Jupiter seufzte und schaute aus dem Seitenfenster. »Bringen Sie mich einfach irgendwie zur Kirche.«
    Das Taxi irrte noch einige Minuten durch schmale Gassen, in denen man kaum den Himmel sah, und über Plätze, auf denen einsame Brunnen plätscherten. Die ganze Zeit über sahen sie keinen Menschen; nur einmal, hinter einer vergitterten Toreinfahrt, kauerte eine krumme Gestalt in einem dunklen
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