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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten
Autoren: Julian Lees
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Stille senkte sich über das Boot. In der Ferne kreischte ein Waldvogel.
    Sum Sum schauderte. »Der Dschungel ist nachts so unheimlich. Ich habe Angst von die Pontianak .« Sie meinte die Vampirfrau aus der malaiischen Volkssage.
    »Unsinn, es gibt keine Pontianak !«
    »Sie rollt mit Augen, bis man nur noch Weiß sieht.«
    »Würdest du jetzt bitte still sein?«
    Lu See stand an der Reling, die Hände auf dem Metall des Geländers. Während sie in die von nächtlichen Geräuschen erfüllte Dunkelheit lauschte, ging ihr der kindische Vers durch den Kopf, den ihre Brüder immer gesungen hatten, wenn sie krank im Bett ihrer Mutter lag.
    Böses Mädchen, böses Mädchen,
    tust als wärst du krank so sehr,
    wart nur, Onkel Hängebacke
    kommt mit seinem Stock daher.
    Sie wusste, dass er ihr bereits auf den Fersen war.

2
    Am frühen Morgen hatte es geregnet. Jetzt warf die Sonne ihre Strahlen über den Hafen von Penang, der von der gnadenlosen tropischen Hitze überrollt worden war, sodass der Schweiß auf der Haut verdunstete, als säße man in einem Backofen. Auf dem Kai hockten die Laskars, die indischen Seeleute, und kauten Bhang oder rauchten selbst gedrehte Bidis , um richtig wach zu werden. Die Straßenhändler stellten, begleitet vom ständigen Gebell der Hunde und dem Krähen der Hähne, ihre Stände am Kai auf, der von einem Ende der Chulia Street bis zum anderen reichte. Sie grillten Stachelrochen, brieten Satay -Spieße über Holzkohlefeuern und schlugen Eier auf, um auf ihren gusseisernen Woks Austernomeletts zu backen. Man hörte Tamil, Hokkien, Bahasa, Pidgin-Englisch und Kantonesisch, ein Summen und Brummen wie von Fliegen im hohen Gras.
    Lu See stand auf dem Deck der MS Jutlandia , dort wo die Rettungsboote festgezurrt waren. Schon vor geraumer Zeit hatte sie beschlossen, jedes Detail ihrer Überfahrt schriftlich festzuhalten. Sie wusste zwar, dass Sum Sum überall auf dem Schiff mit der Kodak Retina fotografieren würde, aber sie wollte unbedingt auch ihre eigenen Eindrücke festhalten. Dies, so entschied sie, war die Reise ihres Lebens. Eines Lebens, das sie bis jetzt noch nicht einmal über die Straße von Malakka hinausgeführt hatte. Sie zog den Stift aus der Halterung an ihrem Skizzenbuch und begann, ihre Beobachtungen aufzuschreiben – jede Farbnuance der Wolken und des Meeres, jeden Geruch, ob er angenehm war oder die Nase beleidigte, jedes Geräusch, angefangen beim Klang des Schiffshorns bis hin zum Ruf des Mullahs, der seine Morgengebete sang. Mit schnellen Strichen skizzierte sie einen Europäer im Leinenanzug und mit Tropenhelm, der sich von einem kahlköpfigen Malaien die Schuhe putzen ließ.
    Jim-dandy , sagte sie zu sich, das war ein Ausdruck für »hervorragend«, den sie in einem amerikanischen Film aufgeschnappt hatte, jetzt endlich ist alles jim-dandy.
    Ihre bevorstehende Reise verstärkte das Gefühl der Befreiung, das sie seit einiger Zeit verspürt hatte. Sie wunderte sich oft darüber, wie sehr sie sich verändert hatte, seit sie mit Adrian zusammen war. Davor war ihr Leben langweilig und bedeutungslos gewesen. Jetzt fragte sie sich oft, wie sie so lange ohne Leidenschaft hatte leben können.
    Sie war siebzehn gewesen, als sie ihn beim Neujahrstanz im Selangor Club kennengelernt hatte. Ungefähr zwanzig Minuten nach den Toasts auf den König war er in seinem weißen Frack mit einer Porzellanschale voller getrockneter Früchte in der Hand auf sie zugekommen und hatte sie angesprochen. Die Band hatte gerade ein Stück von Count Basie angestimmt.
    »Kennen Sie die Geschichte von dem Mann, der in einer Schüssel Trockenobst verschwunden ist? Zwei starke Bären haben ihn hineingezogen. Möchten Sie eine Weinbeere?«, fragte er und bot ihr die Schüssel an. Sie schüttelte den Kopf. »Wie wäre es dann mit einer Verabredung?«
    »Das ist nun wirklich die dümmste Anmache, die ich je gehört habe!«
    »Tut mir leid, aber das interessiert mich nicht die Bohne.«
    Er war fünf Jahre älter als sie und arbeitete für das Royal Anthropological Institute. Er war einer der ganz wenigen Chinesen, die dort angestellt waren.
    »Ich beschäftige mich gerade mit den See-Dajaks von Borneo. Die vergangenen sieben Wochen habe ich in den Wäldern von Kuching verbracht. Die meisten Frauen dort laufen nur mit einem Bastrock bekleidet herum.« Er ließ den Blick ungeniert über ihren Körper wandern, dann fügte er grinsend hinzu: »Mein Name ist übrigens Adrian. Adrian Woo.«
    »Ich weiß, wer Sie sind.
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