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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten
Autoren: Julian Lees
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der Bauten fanden sich Küchengärten und große, gemeinschaftlich genutzte Flächen, auf denen die Kinder spielen konnten. Es gab einen Nudelverkäufer und einen Mann, der satay , auf Bambusstöckchen aufgespießte, gegrillte Fleischstückchen, verkaufte, und für all diejenigen, denen der Sinn nach etwas Raffinierterem stand, gab es einen kleinen Imbiss, in dem Hühnchenschnitzel nach westlicher Art zubereitet wurden. Der kleine Ort, von den Einheimischen kampong genannt, verfügte über einen Lebensmittelladen, eine Holzhandlung und ein Geschäft, in dem Palmwein verkauft wurde. Es gab eine kleine Moschee, einen chinesischen Tempel sowie ein anglikanisches Gotteshaus, das in den 1890er-Jahren von einem Einwanderer aus Inverness erbaut worden war. Die kleine Kirche, ein Gebäude aus heimischen Hölzern und Stein, stand direkt am Ufer des Flusses und sah aus, als hätte man sie aus dem schottischen Hochland geradewegs hierher versetzt.
    Die aktivsten Mitglieder der Gemeinde waren die Teohs. Sie sammelten Geld für den Erhalt der Kirche, hielten das Schieferdach instand und hatten mit Spenden die kostbare Orgel finanziert. Wann immer sich der Chor ankündigte, lächelte Mrs Teoh, die in ihrem luftigen geblümten Sonntagskleid stets in der ersten Reihe saß, ihren Kindern beruhigend zu. Beim Klang ihrer Stimmen und dem Brausen der kupfernen Orgelpfeifen begann sie dann voller Stolz zu strahlen. Diese Orgel, diese Königin aller Instrumente, war für die Teohs ebenso bedeutungsvoll wie das erstklassige Stück Ackerland vor ihrer Haustür, zumal es zu dieser Zeit in ganz Malaysia nur noch drei weitere Orgeln gab. Für die Familie Teoh stand dieses Instrument für Kultiviertheit, Wohlstand und Ehrbarkeit.
    »Schneller, schneller, Po On Village!«
    Die Boote mit ihren grimmigen Drachenköpfen am Bug flogen jetzt geradezu über das Wasser. Eine junge Chinesin ging mit einem Korb durch die Menge und verteilte kleine Päckchen mit klebrigem Reis und gesalzenen Kastanien an die Zuschauer. Sie hatte ein ovales Gesicht und eine hohe Stirn, die Intelligenz verriet. Ihr dunkles, üppiges Haar umspielte ihre Schultern. »Fröhliches Klößchenfest!«, wünschte sie immer wieder lächelnd und bot den hiesigen Fischerleuten und Gummizapfern dabei ihre Gabe an. Jedes der Päckchen war mit Bambusblättern und Raffiabast umwickelt. »Esst sie, solange sie noch warm sind«, forderte sie die Menschen auf. »Mit den besten Empfehlungen der Familie Teoh.«
    »Vielen Dank, Erste Tochter Teoh!«, erwiderte ein Kautschukzapfer. »Deine Familie überwältigt uns mit ihrer Großzügigkeit. Und viel Glück für deine Brüder. Hoffentlich gewinnen sie das Rennen!«
    Beim Gedanken an James und Peter, die in diesem Augenblick so angestrengt paddelten, dass ihnen beinahe die Augen aus dem Kopf traten, breitete sich ein Lächeln auf dem Gesicht der jungen Frau aus.
    Hinter ihr lief ein Dienstmädchen in einem weißen Kittel und weiten dunklen Hosen her. Das Mädchen hielt einen Fotoapparat in den Händen und blieb von Zeit zu Zeit stehen, spreizte die Ellbogen ab wie ein flatterndes Huhn und drückte auf den Auslöser.
    »Beeil dich, Kürbiskopf«, drängte ihre Herrin, »und egal, was geschieht, lass bloß die Kodak nicht fallen. Ah-Ba bringt uns um, wenn sie beschädigt wird.«
    Als ob sie die Ermahnung nicht gehört hätte, spulte das Dienstmädchen den Film mit dem Kurbelzapfen weiter und schoss noch ein Foto von der versammelten Menge, eines von vielen, auf denen Woos und Teohs gemeinsam zu sehen waren.
    Das alljährliche Klößchenfest war traditionell einer der wenigen Tage des Jahres, an denen die Dorfbewohner ihre Schulden untereinander beglichen. Es war auch eine der wenigen Gelegenheiten, an denen die Teohs und die Woos friedlich miteinander umgingen, denn zwischen den beiden Familien herrschte, solange man denken konnte, eine erbitterte Fehde.
    Verleumdungen, Streitigkeiten um Grund und Boden und wüste Drohungen waren an der Tagesordnung. Von Zeit zu Zeit brach mitten auf der Straße eine Schlägerei aus, zuweilen wurde sogar ein parang -Schwert geschwungen. Und manchmal wurde so viel Blut vergossen, dass man den Rat der kampong -Ältesten anrief, um den Streit zu schlichten. Und alles nur wegen einer lang zurückliegenden Auseinandersetzung um Wasser …
    Der mächtige Juru floss durch das Land der Teohs, er war ihr Lebenselixier. Der Familie gehörten 10 800 Hektar Grund am oberen Flussabschnitt, den Woos 12 000 Hektar in der Talsohle.
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