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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten
Autoren: Julian Lees
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Wenn sich einem Teoh die Gelegenheit bot, einen Woo zu betrügen, dann nutzte er sie auch. Und wenn es einem Woo gelang, einen Teoh über den Tisch zu ziehen oder gar zu verprügeln, jubelte das gesamte untere Tal.
    Man hätte annehmen können, dass zwei derart verfeindete Familien es vorgezogen hätten, so weit wie möglich voneinander entfernt zu leben. Doch ihre Anwesen standen gerade einmal zweieinhalb Kilometer voneinander entfernt am Rande der jeweiligen Ländereien, nur durch den Fluss voneinander getrennt, aber nahe genug, um sich durch ein Fernrohr beobachten zu können. Auf diese Weise behielten sich die Clans ständig im Auge.
    Die Teohs hatten ihr Haus nach den mächtigen Bäumen, welche die Auffahrt zu ihrem Hof säumten, Tamarind Hill getauft. Die Woos nannten ihr Anwesen zu Ehren von Malaysias erstem Generalresidenten Swettenham Lodge . Beide Häuser standen sich mit größtem Argwohn gegenüber. Wie zwei mittelalterliche Turnierkämpfer belauerten sie sich finster und nahmen durch das nach unten geklappte Visier ihrer Helme jede Bewegung ihres Kontrahenten wahr.
    »Nehmt euch von den Reisklößchen, solange sie noch heiß sind!«, rief das Mädchen jetzt wieder. »Mit den besten Empfehlungen der Familie Teoh!«
    Sie warf einen Blick zum Platz der Woos, wo eine Gruppe von Männern damit beschäftigt war, mehrere Spanferkel am Spieß zu braten. Beim Anblick der glänzenden, wie flüssiges Karamell schimmernden Haut der Schweine lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
    »Meine Klößchen schmecken viel besser als das Zeug da drüben!«
    Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter.
    »Was hast du da gerade gesagt?«
    Das Mädchen fuhr herum und sah dann dem Chinesen, der sie angesprochen hatte, unerschrocken in die Augen. Er trug weiße Leinenkleidung. Sein geöltes Haar war sorgfältig nach links gescheitelt, und er roch so frisch und sauber wie Sandelholz.
    »Ach, wenn das nicht der Erste Sohn der Woos ist«, entgegnete sie. »Dai-yee-jee, der alte Eierkopf und Wichtigtuer! Mr Elitestudent aus Cambridge höchstpersönlich.«
    »Ich habe dich etwas gefragt«, gab er ruhig zurück. »Was hast du da gerade gesagt?«
    »Was glaubst du denn?«
    Das Dienstmädchen fotografierte die beiden bei ihrem Wortwechsel.
    »Es wäre mir lieb, wenn du nicht so respektlos von meiner Familie sprechen würdest, vor allem nicht bei einem solch festlichen Anlass.«
    Das Mädchen schürzte die Lippen. »Ach, du liebe Güte. Das tut mir jetzt aber leid! Was habe ich mir nur dabei gedacht? Lass mich das Ganze anders formulieren … Wie wäre es, wenn ich dich das nächste Mal als begriffsstutzigen, schwachköpfigen Nichtsnutz vorstelle? Hört sich das besser für dich an?«
    Der junge Mann packte sie am Handgelenk. »Komm mit!«
    Sie ließ ihren Korb fallen, als er sie durch das Gedränge zerrte, dann durch eine Schar von Hühnern, die in der Erde scharrten, weg vom Ufer des Flusses. Sie sah sich suchend nach ihrer Dienerin um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Mit großen Schritten stürmten sie über den Dorfplatz, vorbei am kleinen Lebensmittelladen, der Holzhandlung und der Werkstatt des Moskitonetzmachers, und steuerten auf den Pfad zu, der den Hang hinaufführte. Die alten Männer, die vor dem Tempel saßen und im Schatten der überhängenden Dachtraufe Domino spielten, blickten erstaunt auf. Auch die Witwe Ping, die vor einer Büchse mit Weihrauchstäbchen und einer Opferschale mit Obst kniete und betete, hob überrascht den Kopf und sah ihnen nach.
    »Lass mich los!«, zischte das Mädchen.
    »Nein«, sagte er. »Du kommst jetzt mit.«
    Eine Salve von Feuerwerkskörpern explodierte und ließ die Luft knistern, und die Menschen starrten mit offenen Mündern zum Himmel hinauf.
    »Du tust mir weh«, beschwerte sie sich.
    Die Geräusche der Menge wurden allmählich leiser, als er mit ihr den steilen Pfad, gesäumt von hohem Unkraut und Chinaschilf, hinaufstieg und sie dann in den Wald hineinzog. Umgeben von tropischem Grün blieb er schließlich stehen, um Atem zu schöpfen. Er warf einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand gefolgt war, dann drückte er das Mädchen an den Stamm eines Rambutan -Baums. Seine Augen glänzten wie nasse Bronze.
    »Begriffsstutziger, schwachköpfiger Nichtsnutz?«
    »Sei still! Kein Wort mehr …« Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf den Mund. Seine Lippen schmeckten wie süßer Tee. Sie fuhr mit ihren Fingern durch seine Haare, ließ sie
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