Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
unter.«
    Äneas nahm die Hände des Griechen in die seinen.
    »Leb wohl, Freund«, sagte er leidenschaftlich. »Ich werde dich nie vergessen.«
    »Doch, doch, das wirst du«, widersprach Odysseus.
    »Nein. Ich schwöre es …«
    »Da, schon wieder. Unentwegt schwingst du dein Schwert und schwörst. Das bringt nichts. Ich meine nur, sie, die Nymphe Kalypso, hat verfügt, daß ihr alles vergessen werdet. Du und alle deine Männer. Deine Begegnung mit ihr auf ihrer Insel wird für immer aus deinem Gedächtnis gelöscht sein, und einst, wenn die Sänger unsere Taten rühmen, wird keiner berichten können, was hier geschehen ist.«
    »Kann sie derlei bewirken?«
    »Aber ja. Sehr einfallsreich, die Dame. Nur ist sie nicht unfehlbar, weißt du? Sie sagt, kein Sänger wird je unsere Geschichte vortragen. Vielleicht aber wird in Zukunft ein Weib den Versuch unternehmen, sie zu erzählen.«
    »Ein weiblicher Sänger?« sagte Äneas voller Zweifel. »Kann es das je geben?«
    »Alles möglich«, meinte Odysseus. »Nur die Götter wissen, wie die Welt in ein paar tausend Jahren aussieht.«
    »Ich habe gehört«, sagte Äneas bedächtig, »einige eurer griechischen Denker glauben, daß die Geister der großen Männer wiedergeboren werden könnten, um in späteren Jahren auf Erden zu wandeln. Was hältst du davon?«
    »Wie gesagt, nach allem, was ich durchgemacht habe, würde ich sagen, alles ist möglich.«
    »Dann könnte es sein, daß wir beide uns nach vielen hundert Jahren wieder begegnen, Odysseus.«
    »Ja, aber woran würden wir einander erkennen?«
    »Na, das ist nicht schwer. Ich würde nach einem dicken Mann Ausschau halten, der nicht auf den äußeren Schein achtet, sondern auf das, was seines Wissens nach da ist.«
    »Und ich würde nach einem mageren Jungen Ausschau halten, der versucht, in zwei Richtungen gleichzeitig zu gehen, und mehr Zeit damit verbringt, sein Schwert zu schwingen, als es zu gebrauchen.«
    Die beiden umarmten sich. Dann riß sich Äneas los und rannte zu dem wartenden Boot, das sofort ablegte und ihn zu dem Schiff brachte, das das fürstliche Banner trug.
    Jetzt war es fast dunkel. Nur eine blaßrosa Linie zwischen dem tiefhängenden Himmel und dem unruhigen Meer zeigte an, wo die Sonne hinter dem Horizont versank. Odysseus sah, wie das Boot längsseits des Schiffes hielt. Noch bevor die Männer an den herabgelassenen Seilen hochkletterten und an Deck gelangten, blähten sich die Segel an den Masten. Das Schiff stach in See.
    Er stand da und sah zu, wie der Wind in die Segel fuhr und das Schiff des Fürsten den anderen folgte, die bereits das offene Meer gewannen.
    Bald verschlangen sie die wachsende Dunkelheit, die Gischt und der wirbelnde Regen, aber Odysseus versuchte angestrengt, sie im Auge zu behalten. In Gedanken war er dort draußen, nicht bei der trojanischen Flotte, sondern am Bug seines eigenen Schiffes, den Leib durchtränkt von Schweiß und Salzwasser, spürte, wie das Holz bei dem schweren Wellengang knarrte und ächzte, hörte die Segel schlagen und seine Leute an den Rudern keuchen, und wußte, daß ihr Stöhnen weder von Unmut noch von Angst zeugte, sondern von der rechtschaffenen Anstrengung derer, denen klar ist, daß jeder Ruderschlag sie der Heimat ein paar Meter näher bringt.
    Aber er hatte kein Schiff, er hatte keine Gefährten, und er konnte anstellen, was er wollte, es hätte ihn der Heimat kein Stückchen nähergebracht.
    Traurig und einsam wandte er sich vom dunklen, windgepeitschten, ersehnten Meer ab und fand sich sogleich in einer anderen Welt wieder.
    Der Himmel über ihm war dunkelviolett und klar, von Millionen Sternen übersät, und hoch oben prangte ein goldener Vollmond, der die Szene wie mit tausend Fackeln beleuchtete. Ein sanfter, lauer Wind spielte mit seinem Haar wie die Finger einer Frau.
    Der steile, felsige Pfad, den er und Äneas unter Lebensgefahr hinabgestürmt waren, hatte sich in einen breiten grünen Weg verwandelt, der zwischen duftenden Büschen sanft anstieg. Am Ende des Wegs erblickte er eine Gestalt, Kalypso. Nur mit ihrem langen geflochtenen Haar bekleidet, lächelte sie und winkte.
    Seltsam, dachte er, wie einem Mann gleichzeitig das Herz so schwer und das Fleisch so unbeschwert sein kann.
    Er schob die Hand unter sein Gewand, kratzte sich voller Vorfreude und schritt aus.
    Auf dem Weg wuchs Kamille, und während er ging, entströmte bei jedem seiner schweren Schritte den zertretenen Blüten ein süßer Duft.
    Ein bißchen wie im richtigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher