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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe
Autoren: Reginald Hill
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alten Hexe. Der du als Vollmacht deinen Ring gegeben hast. Hier, nimm ihn lieber zurück.«
    Er gab Äneas den Ring. Der Fürst betrachtete verblüfft seine Hand. Erst jetzt bemerkte er, daß der Ring fehlte.
    »Wie kann das sein?« fragte er Odysseus. »Die Nymphe hat die Grotte doch nicht verlassen, ich habe Wache gehalten.«
    »Das ist einer der Vorteile, die göttliche Wesen genießen«, erwiderte der dicke Grieche. »Sie können an zwei Orten zugleich sein. Ich muß es wissen, denn ich hatte sie am ganzen Körper.«
    »Kommst du jetzt an Bord, Fürst?« fragte Achates. »Wir sind bereit, und deine Botschaft machte deutlich, daß wir bei Sonnenuntergang auf See sein müssen.«
    »Stimmt. Gut. Wir sind in zwei Minuten bei euch.«
    Achates wandte sich ab, hielt inne und warf Odysseus einen Blick zu. Auf seinen zerfurchten Zügen spiegelte sich keine Regung, aber er nickte, dann ging er.
    »Das sollte wohl ein Dankeschön sein?« sagte Odysseus.
    »Hast du denn Dank verdient? Nein, tut mir leid. Natürlich, es muß so sein. Was hier geschieht, hat zweifellos mit dem zu tun, was dort geschehen ist. Aber jetzt bleibt keine Zeit zum Reden. Wir müssen an Bord eilen, und sobald wir auf See und in Sicherheit sind, können wir es uns bei einem Krug Wein wohl sein lassen. Und du, ob Ehrenmann oder nicht, kannst mir genau berichten, wie du die Nymphe zu diesem Sinneswandel bewogen hast.«
    »Ja, das täte ich allzu gern. Nur komme ich nicht mit. Ich bleibe noch eine Weile hier. Das ist wohl am besten so. Ich meine, deine Jungs würden mich doch beim ersten Sturm über Bord werfen.«
    »Nein!« entgegnete Äneas mit Nachdruck. »Wie immer du es angestellt hast, du hast mir und meiner Familie hier einen solchen Dienst erwiesen, daß ich bei den Göttern schwöre, nichts auf Erden oder im Himmel wird mich bewegen, dir meinen Schutz zu entziehen.«
    »Nö, mein Junge. Ich würde mit Schwüren nicht so um mich werfen«, entgegnete Odysseus freundlich. »Ich schätze, du bist einer der armen Wichte, die die Götter ewig zappeln lassen, und mit denen läßt sich schlecht streiten. Also, ich bleibe. Und du legst jetzt ab. Eine schöne Reise noch.«
    »Aber wie willst du je hier wegkommen, wo dich solches Heimweh plagt?«fragte Äneas. »Begleite mich wenigstens zu einer bewohnten Insel, wo du ein neues Schiff und eine Mannschaft findest. Oder – wenn du das ausschlägst, lasse ich dir eines unserer Küstenboote zurück, dann kannst du dich bei besserem Wetter selbst auf die Reise machen.«
    »Nein, mach dir keine Umstände. Ich komme schon zurecht«, erwiderte der dicke Grieche unbekümmert.
    Der Trojaner sah ihn lange an, dann sagte er plötzlich: »Du darfst nicht fahren, nicht wahr? Das ist der Handel, den du eingegangen bist. Kalypso hat beschlossen, daß sie viel lieber den großen Fürsten Odysseus zum Gefährten hätte als einen kleinen Jungen wie Askanius. Sie hat gesagt, daß sie ihn ziehen läßt, wenn du an seiner Stelle bleibst. Hab ich recht?«
    »So ungefähr. Wir müssen das Thema nicht auswälzen. Gutes Futter, hübsches Quartier und die Extras.«
    Odysseus leckte sich lüstern die Lippen und grinste breit.
    Aber Äneas musterte ihn skeptisch.
    »Vorhin«, sagte er, »als du sie zum ersten Mal erblickt hast, was hast du da gesehen? Eine schöne Frau in einer lieblichen Landschaft oder eine ekelerregende alte Schachtel neben einem Felshaufen?«
    Odysseus zuckte die Schultern.
    »Es zählt nicht, was du siehst«, erwiderte er, »sondern was deines Wissens nach da ist.«
    »Ja, aber ein solcher Akt des Glaubens …« Schaudernd erinnerte sich Äneas, wie der Grieche jene eitrigen, uralten Füße liebkost hatte.
    »Du hättest dasselbe getan, wenn du dich recht besonnen hättest. Für deinen Jungen.«
    »Ja, aber hätte ich es für deinen Jungen getan …?«
    »Ich habe an meinen Jungen gedacht«, sagte Odysseus. »Mein Junge, der viel kleiner war als deiner, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe …«
    Er wandte das Gesicht ab, aber Äneas hatte schon die Tränen in seinen Augen erspäht.
    »Wie lange hast du versprochen, hier zu bleiben?« wollte er wissen.
    »Oh, eine ganze Weile.«
    »Für immer, nicht wahr? Sie will dich für immer. Sei ehrlich, Mann. Du wirst nie nach Hause zurückkehren!«
    »Für immer ist eine lange Zeit«, erwiderte Odysseus. »Vermutlich wird es nicht lange dauern, bis sie meiner überdrüssig ist. Ich denke, du solltest lieber fahren. Sie warten auf dich, und die Sonne geht gleich
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