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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe
Autoren: Reginald Hill
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Scheiße, das ist der Grund. Du bist keinen Furz wert, geschweige denn einen Treuebruch. Ich sehe ihn an, und ich sehe dich an, und was sehe ich? Zwei Männer, die über die großen Meere irren, und viele Jahre lang ähnliche Gefahren erdulden. Aber damit sind die Ähnlichkeiten schon erschöpft. Denn mein Fürst hat immer noch den Großteil seiner Leute bei sich, seinen Vater, seinen Sohn, seine Offiziere, seine Männer und deren Familien. Während du, erbarmungswürdiger Fettwanst, ganz allein bist. Wo sind deine Gefährten, Grieche? Wo sind deine Freunde? All jene vertrauensseligen Narren, die vor so vielen Jahren von Ithaka, diesem Felshaufen, mit dir in See stachen? Alle sind sie fort, alle in den Tod getrieben durch den mächtigen Gott, dessen Zorn du bisher entronnen bist, aber all deine Gefährten haben dafür bezahlt. Wenn es dir je gelingen sollte, die heimatliche Küste wiederzusehen und den Kiesstrand zu deiner mächtigen Burg zu erklimmen, dann wirst du ihre Knochen unter deinen Füßen knirschen hören. Aber mein Herr, der Fürst, wenn er die uns verheißenen Lavinischen Gestade erreicht, wird seinen ganzen Stamm bei sich haben, unversehrt, um unser Land zu erobern und zu besiedeln. So haben es die Götter verheißen. Dieselben Götter, denen du trotzt, die du schmähst und belügst, die du umschmeichelst und hinters Licht führst, nur um am Leben zu bleiben. Also werde ich meinem Fürsten gehorchen, denn seine Befehle kommen letztlich von ganz oben. Aber beim ersten Anzeichen von Betrug, das glaube mir, werde ich eine Furche in diesen gewaltigen Bauch pflügen und erst dann innehalten, wenn ich dein Herz ausgegraben habe. Also hüte dich, Grieche! Achte darauf, was du heute tust und sagst, denn das Schwert des Achates wird deinem Rücken stets nahe sein.«
    Er verstummte, und nach einer Weile öffnete Odysseus seine Augen ganz, setzte sich auf, gähnte, streckte sich und sagte: »Guten Morgen, Kumpel. Wie sieht’s mit dem Frühstück aus?«
    Eine halbe Stunde später sah Äneas ungeduldig zu, wie Odysseus seinen dritten Teller Eintopf leerte.
    »Nun denn«, sagte er, »ich weiß nicht, wozu es gut sein soll, wenn wir uns ein wenig umschauen, wie du sagst, doch ich weiß, daß die Zeit in Windeseile verstreicht.«
    »Zeit haben wir genug«, meinte der Grieche und blickte zu der milchigen Sonne auf, die sich jetzt über den Horizont erhoben hatte und sich redlich mühte, durch einen Schleier von Wolkenfetzen ihr Gesicht zu zeigen. Aber der Kampf war aussichtslos, und das bißchen Wärme, das ihre vereinzelten Strahlen erzeugten, trug der feuchte Wind fort, der von der grauen See her wehte. »Zwei Dinge gibt es, die ein Mann des Morgens nicht vernachlässigen sollte: seine Verdauung und sein Frühstück. Andernfalls bekommt er später am Tag irgendwann Hunger oder wird auf andere Weise aufgehalten.«
    Er stand auf und rülpste melodisch.
    »Also, fürs Frühstück wäre gesorgt, jetzt muß ich mich nur noch um meine Verdauung kümmern.«
    Gefolgt vom wachsamen Achates, zog er sich hinter einen Felsen zurück. Als er zurückkam, stand da Äneas, der zum Schutz gegen den Wind einen schweren wollenen Mantel umgelegt hatte. Er war dunkelblau gefärbt wie der Ozean unter einem milderen Sommerhimmel und so lange gekämmt, daß er seidig war wie die Fäden im Altweibersommer. Äneas bot ihm ein ähnliches Kleidungsstück an.
    Odysseus lächelte und schüttelte den Kopf
    »Bei dem schönen Wetter würde ich unter dem Ding schwitzen wie ein Schwein«, sagte er, zog am Rock seines leichten Chitons und drehte sich im Kreis. »Das reicht mir. Also, gehen wir. Aber nimm deinen Wachhund lieber nicht mit. Mit etwas Glück besuchen wir nämlich eine Dame von hohem Rang, und ein Gesicht wie das seine könnte die Landkrabben erschrecken.«
    Äneas sah Achates an und befahl ihm etwas kleinlaut, im Lager zu bleiben.
    Die Züge des Hauptmanns zeigten keine Regung, aber er richtete seinen Blick noch einmal auf Odysseus und zischte: »Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe.«
    »Aber nein. Nur wirst du ein langes Schwert brauchen. Gut, gehen wir.«
    Er schritt voran und schlug eine so flotte Gangart an, daß sein jüngerer Begleiter gerade noch Schritt halten konnte.
    »Wozu die Eile?« keuchte er. »Wohin willst du?«
    »Nirgendwohin. Ganz gleich, wohin. An einem wunderbaren Morgen wie heute ist es einfach nur schön, am Leben zu sein«, entgegnete Odysseus.
    Der Trojaner blickte erst zum grauen Himmel empor und dann auf den
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