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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe
Autoren: Reginald Hill
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    Prolegomena
    M ein Vater erkennt mich nicht, wenn ich ihn besuche. Er ist ganz woanders, in einem fremden Land.
    Es hat aber auch seine Vorteile, sage ich mir. Er mußte nicht leiden, als wir fürchteten, Rosie würde sterben. Und all die Flüchtlinge in Afrika, auch in Europa, die über unsere Fernsehbildschirme ziehen, sie beunruhigen ihn nicht. Der Treibhauseffekt, Aids, der Euro, nichts dringt bis zu seinem Bewußtsein vor. Er braucht nicht einmal um seine Rosen zu fürchten, wenn im Juli Stürme vorausgesagt werden.
    Er sitzt im Heim, ein Denkmal der Unwissenheit, und lächelt grundlos vor sich hin.
    Wenigstens scheint er glücklich zu sein, sagen uns die Pflegerinnen, ja, wenigstens scheint er glücklich zu sein, antworten wir ihnen.
    Glücklich, niemand und nirgends zu sein.
    Doch ich habe ihn auch außerhalb dieses Zimmers, dieses Kokons erlebt, als noch hier und da Erinnerungen an eine Person, an einen Ort in ihm aufflackerten, wenn er mit Entsetzen jene Frau anstarrte, die seine Ehefrau und zugleich eine völlig Fremde war, oder wenn er im Flur seines eigenen Hauses stehenblieb und sich nicht mehr erinnern konnte, ob er in die Küche oder in den Garten gehen wollte und welche Tür er öffnen sollte, falls er sich daran erinnerte, und vor Angst aufschrie, wenn der Hund, der beinahe zehn Jahre lang sein treuester Begleiter gewesen war, auf ihn zusprang und ihm kläffend seine Liebe bekundete.
    Ihn so zu sehen war schlimm.
    Noch schlimmer aber war es, während und nach Rosies Krankheit mitten in der Nacht aufzuwachen und sich zu fragen, ob vielleicht das, was wir Alzheimer nennen – jene Krankheit, in der die Welt ein Strudel von Bruchstücken wird, ein sich endlos wiederholender Film unzusammenhängender Szenen, ein absurdes Theaterstück, in dem sämtliche Schauspieler behaupten, sie seien alte Freunde oder gute Bekannte –, vielleicht doch gar kein Leiden ist, sondern nur das Nachgeben eines psychischen Zensors, den uns das Ich aufzwingt, um uns das Leben in einem völlig irrationalen Universum zu ermöglichen.
    Was bedeuten würde, daß Dad und all die anderen die Welt letztendlich so sehen, wie sie ist.
    Eine nichtvirtuelle Realität.
    Eine See von Plagen.
    Verworren.
    Belanglos.
    Scherben, meine Trümmer zu stützen.
    O Mistress Pascoe, laß uns die Götter preisen, laß unseren betrügerischen Rauch in ihre Nasen steigen, denn frohe Kunde bringe ich und Grund zur Freude. Nicht länger fürchte ich die Hitze der Sonne, jetzt, da die Zeit mich freiläßt, die mich so lange dahinsiechen ließ, welch glückliche Nachricht, doch nicht für alle, denn bringt der Strudel der Zeit nicht auch Rache? In Gedanken weile ich bei Dir, zufrieden aber bin ich erst, wenn ich Dein Antlitz schauen kann und meine überfließenden Augen Zeugnis von meinem übervollen Herzen geben. Mögen meine Tränen sich für Dich als heilige Wasser erweisen! Ich muß mich kurz fassen, denn auch wenn mich meine Feinde freigelassen haben, so ist die Freiheit doch gefährlicher als das Gefängnis, denn durch Dich und die Deinen weiß mich dort die Welt in ihrer Obhut, in Freiheit aber bin ich fatalen Zufällen und gefährlichen Unfällen zu Wasser und zu Lande preisgegeben, während ihre Weste weißer bleibt als das Papier, auf dem mein Nachruf geschrieben wird, und so müssen wir unsere Gedanken ebenso im Dunkeln halten wie mein Geschick und meinen Namen. Das Schicksal führt mich an Deine Seite, doch wann, ist ungewiß, denn nun muß ich über Nebenwege und verschlungene Pfade reisen, doch eines Tages, wenn Du schon nicht mehr nach mir Ausschau hältst, wird sich eine Tür öffnen, und dann bin ich da, auch wenn Du mich vielleicht nicht erkennst, aber fürchte Dich nicht, bevor es mit mir vorbei ist, wirst Du mich durch und durch kennen. Bis dahin sei das Glück Dir treu, während ich, obwohl braun wie Erde, durch höchste Treue meinem Gelübde Glanz verleihe.
    Am Ufer eines einsamen Sees, von zerzausten Kiefern umstanden, die sich einem niedrigen Himmel entgegenreckten, aus dem trübes Licht sickerte – ein bleicher Schein, der die Szenerie eher mit einem kränklichen Schimmer überzog als erhellte –, gähnte eine tiefe Höhle.
    Vier Männer arbeiteten hier mit Schaufeln, ihre Gesichter mit Tüchern verhüllt, nicht um sich unkenntlich zu machen, sondern um den stechenden Gestank des verwesenden Kots der Fledermäuse besser ertragen zu können, den sie aufwühlten. Hoch über ihnen regte sich ungehalten wispernd ein Meer
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