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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe
Autoren: Reginald Hill
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jemand verletzt worden war, aber nun gewann das Pflichtbewußtsein des Polizisten die Oberhand. Er zog sein Handy heraus, wählte 999 und gab einen knappen Bericht des Geschehens.
    »Am besten leiten Sie den Verkehr um, in beiden Richtungen«, sagte er. »Die Straße ist komplett blockiert, solange Sie nicht dafür sorgen, daß der Lastwagen weggeräumt wird. Eine Person verletzt. Fahrgast des Taxis, sie hat sich die Nase angeschlagen. Fahrer des Lastwagens steht vermutlich unter Schock. Schicken Sie lieber einen Krankenwagen.«
    »Nicht für mich«, erklärte die Frau entschieden. »Mir geht’s gut.«
    Sie erhob sich vom Randstreifen, wo sie gesessen hatte, und schritt auf langen Beinen, deren leichte Unsicherheit ihre kurvenreiche Anziehungskraft nur verstärkte, voran. Es sah aus, als wollte sie das Hindernis ganz alleine aus dem Weg räumen. Wenn der Laster ein fühlendes Wesen wäre, könnte sie es schaffen, dachte Pascoe.
    »Blöde Kuh, wär’ ihr nicht passiert, wenn sie sich angeschnallt hätte, wie ich’s ihr gesagt habe«, meinte der Taxifahrer.
    »Vielleicht hätten Sie drauf bestehen sollen«, entgegnete Pascoe nachsichtig. »Wer ist das? Wohin sollt’s denn gehen?«
    Er hatte keinen Grund, diese Frage zu stellen, noch hatte der Fahrer einen, sie zu beantworten, doch ohne es selbst zu merken, hatte Pascoe über die Jahre in seinem Auftreten eine ruhige Autorität entwickelt, der die meisten Menschen schwerer widerstehen konnten als schlichter Anmaßung.
    Der Fahrer zog einen Notizblock hervor und las ab: »Miss Kelly Cornelius. Manchester Airport. Terminal drei. Na, den Flieger wird sie wohl nicht mehr kriegen.«
    Er sagte das mit einer Befriedigung, die ihn als Exemplar jener glücklicherweise im Aussterben begriffenen Ureinwohner Yorkshires auswies, neben denen sich selbst Andy Dalziel als freundliche Lichtgestalt ausnahm. Nur ein eingefleischter Frauenhasser konnte sich an etwas erfreuen, das die junge Miss Cornelius in Bedrängnis brachte.
    Und offensichtlich war sie in arger Bedrängnis. Sie kam von ihrer Begutachtung des Lastwagens zurück und warf Pascoe einen Blick zu, in dem soviel Verzweiflung lag, daß er vor lauter Mitgefühl beinahe zu weinen angefangen hätte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie mit einer melodischen Stimme, in der das Beste amerikanischer Helligkeit, keltischer Dunkelheit und die Laute englischer Wälder sich zu einem lieblichen Seufzen verbanden, »Ihr Wagen steht doch auf der anderen Seite, nehme ich an.«
    »Ja, ich bin auf dem Heimweg nach Mid-Yorkshire«, antwortete er. »Sieht so aus, als müßte ich umkehren und mir eine andere Route suchen.«
    »Das habe ich mir gedacht«, antwortete sie, atemlos vor Entzücken, als hätte er ihr gerade den Beweis für die brillanten intellektuellen Fähigkeiten geliefert, die sie bei ihm vermutete. »Und ich fragte mich gerade, ich weiß, es ist ein ganz schöner Umweg, aber würde es Ihnen etwas ausmachen, mich zum Manchester Airport zu bringen? Ich möchte mich nicht aufdrängen, aber sehen Sie, ich muß einfach diesen Flug kriegen, ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn ich ihn verpasse.«
    Tränen traten in ihre großen, dunklen Augen. Pascoe konnte sich ihren salzigen Geschmack auf seiner Zunge vorstellen. Worum sie bat, war natürlich unmöglich, doch (wie er sich fest vornahm, Ellie später zu erzählen, um sein Gewissen zu erleichtern und sich von den lüsternen Gedanken zu befreien, die ihm bei ihrem Anblick kamen) war es schmeichelhaft, gefragt zu werden.
    »Tut mir leid, aber meine Frau erwartet mich«, sagte er.
    »Rufen Sie sie doch einfach an. Sie haben ja ein Handy«, flehte sie mit bebender Stimme. »Ich wäre Ihnen wirklich unendlich dankbar, wahnsinnig dankbar sogar.«
    Das war atemberaubend, in jedem Sinne.
    »Es gibt bestimmt noch einen anderen Flug. Wo wollen Sie überhaupt hin?« meinte er.
    Blöde Frage. Signalisierte Verhandlungsbereitschaft.
    Sie zögerte einen winzigen Moment, bevor sie antwortete. »Nach Korfu. Urlaub, der erste seit Jahren. Und es ist ein Charterflug, wenn ich ihn verpasse, kriege ich wahrscheinlich keinen anderen, um diese Jahreszeit ist alles ausgebucht. Und am Flughafen wartet meine Schwester mit ihrem kleinen Jungen, sie ist behindert, ohne meine Hilfe kommt sie nicht ins Flugzeug, also wäre der Urlaub für uns alle gestorben. Bitte.«
    Mit einem Mal war ihm klar, er würde es tun. Also gut, es war zwar verrückt, aber er mußte sowieso bis nach Glossop zurückfahren, und zum
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