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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe
Autoren: Reginald Hill
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in seinem Mund zu spüren.
    Aber Odysseus stand aufrecht, in jedem Sinne, wie sein leichtes Gewand kaum verbergen konnte. Seine Arme umschlangen die alte Vettel, er drückte seine Lippen auf die ihren, während seine Hände sich durch die Risse ihres ekelerregenden Kleides wühlten und ihren knochigen, schwieligen Hintern liebkosten, als wäre es der weiche, rosige Po eines Mädchens.
    Und plötzlich, als Äneas gerade sein Schwert hob, um dieser Obszönität ein Ende zu setzen, denn nichts anderes war dies, trat er verblüfft zurück, denn die krumme, uralte Hexe richtete sich auf und wurde zu einer wohlgeformten, schlanken jungen Frau, und die grausigen, eingesunkenen Züge rundeten sich und erstrahlten in kraftvoller, überirdischer Schönheit.
    Doch die wundersame Verwandlung war damit nicht zu Ende. Die dunkle Felsspalte, aus der die Hexe getreten war, öffnete sich zu einer luftigen, reich ausgestatteten Grotte, über deren Eingang sich schwer von reifen Trauben ein üppiger Weinstock rankte. Üppige Wälder mit Erlen, Espen und duftenden Zypressen erstreckten sich ringsum, und in ihren Zweigen tummelten sich zwitschernde Vögel. Vier Quellen mit dem klarsten Wasser plätscherten unter den Bäumen und über die angrenzenden Wiesen, in deren wogendem Grün blaue und violette Veilchen blühten. Es war eine Szenerie, die selbst einen Gott entzückt hätte.
    Sprachlos sank Äneas auf die Knie.
    Die göttliche Nymphe Kalypso (zweifellos war sie es) lachte und stieß den heißblütigen Griechen von sich.
    »Odysseus, ich hatte gehört, daß du, sei’s mit deinem klugen Kopf, sei es mit deinem starken Arm, jeglichen Feind bezwingst, der sich dir in den Weg stellt. Doch daß du solche Kühnheit besitzt, hätte ich nicht gedacht.«
    »Herrin, ich kann hier keinen Feind erblicken, und du selbst ermutigtest mich zur Kühnheit.«
    »Vielleicht. Aber du sagst, du sahst mich, wie ich jetzt bin, und nicht, wie dieser arme Wicht mich wahrnahm?«
    »Meine Augen, die die Toten im Hades geschaut haben, sind aller menschlichen Maßstäbe enthoben«, erwiderte Odysseus ernst. »Vor Augen, die so klar sehen wie die meinen, kann keine Zauberei der Welt göttliche Schönheit wie die deine verbergen.«
    »Tatsächlich?« sagte Kalypso, halb amüsiert, halb geschmeichelt. »Und was begehrst du von mir, daß du so rüde meine Ruhe störst?«
    »Was ich begehre, Herrin? Das würde ich lieber unter vier Augen besprechen. Ich möchte den Jungen hier nicht in Verlegenheit bringen, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Für solche Unverschämtheit gibt es keine Strafe!« rief die Nymphe.
    »Freut mich zu hören«, sagte Odysseus. »Wie wär’s dann mit einer Belohnung?«
    Sie schüttelte den lieblichen Kopf, nicht ablehnend, sondern in gespieltem Erstaunen, und sagte: »Nun, ich werde dir eine Weile gefällig sein, bevor ich über dein Schicksal entscheide. Komm in mein Gemach.«
    Sie ging in die Grotte. Odysseus zwinkerte Äneas zu und folgte ihr. Der Trojaner tat einen unsicheren Schritt, aber der Weinstock hatte mit seinen kräftigen Ranken den Eingang bereits verschlossen.
    Verblüfft trat er zurück und setzte sich auf eine bemooste Bank vor der Grotte. Nach einer Weile wurde ihm so warm, daß er den schweren Wollmantel abstreifte, und als er aufblickte, sah er, daß auch der Himmel verwandelt war und sich nun als makellose tiefblaue Kuppel über ihm wölbte, in deren Mitte die Sonnenscheibe prangte.
    Die Zeit verging. Allmählich neigte sich die Sonne dem westlichen Himmel zu. Je tiefer sie sank, um so aufgeregter wurde er. Was immer hinter den Weinranken vorfallen mochte, noch galt das Gebot der Nymphe, das ihm bis zum Sonnenuntergang Zeit ließ, mit allen Gefolgsleuten außer seinem Sohn von der Insel zu fliehen oder aber zu bleiben und vernichtet zu werden.
    Als schließlich nach seiner Schätzung noch kaum eine Stunde blieb, bis die Sonne den Horizont berührte, war seine Geduld erschöpft. Er erhob sich und schritt mit gezogenem Schwert auf den Eingang der Grotte zu. Aber noch bevor er ihn erreichte, gab die Weinrebe den Zugang frei, und Odysseus trat, sein Gewand ordnend, heraus.
    »Wie geht’s, mein Junge?« sagte er fröhlich. »Tut mir leid, daß ich dich habe warten lassen. Um Priapos willen, steck das Ding weg. Wenn du die ganze Zeit so damit herumfuchtelst, kriegst du noch Schwierigkeiten.«
    Hinter dem Griechen fiel der Vorhang der Weinreben wieder, aber Äneas konnte zuvor noch in den Tiefen der Grotte einen niedrigen
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