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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Rebecca Gablé
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einer Außenseiterperspektive zu erzählen, um historische Lebenswelten zu beschreiben. Außerdem wollte ich nicht nur die ostfränkische Geschichte erzählen, sondern auch die der slawischen Nachbarn dieses Reiches. Auch sie sind ja ein Teil dieses schwer zu greifenden Konstrukts »deutsche Geschichte« – ein Teil, der vielen von uns kaum oder nur in Bruchstücken bekannt ist. Jedenfalls ging es mir so, bevor ich mit diesem Projekt begann.
    Da die Elbslawen des 10. Jahrhunderts aber keine eigenen schriftlichen Quellen hinterlassen haben, musste ich mit zwei Informationsformen vorliebnehmen, die beide problematisch sind: den Erkenntnissen der archäologischen Forschung und dem, was die deutschen Chronisten über die slawischen Völker zu sagen hatten. Nicht viel Gutes, kann ich Ihnen verraten, denn die Chronisten waren Mönche, die Slawen »Heiden«, die obendrein wenig Neigung zeigten, sich unterwerfen und missionieren zu lassen.
    Widukind spricht nie anders als abfällig von ihnen. Selbst in einem Fall, da ein Slawe den Sachsen bei einem Ungarneinfall zur Seite steht, stellt er ihn als arglistig und hinterhältig dar, so ähnlich wie in alten amerikanischen Western selbst die »guten« Indianer irgendwie immer etwas Verschlagenes an sich haben.
    Was Widukind uns über Tugomir berichtet, ist dies: »Es war aber noch von König Heinrich her ein Slawe namens Tugumir in Haft, der nach dem Gesetz seines Stammes die väterliche Nachfolge als Herrscher über die sogenannten Heveller antreten sollte. Dieser wurde mit einer großen Geldsumme gewonnen und durch noch größere Versprechungen überredet, dass er versprach, sein Gebiet zu verraten. Daher kam er, als wäre er heimlich entflohen, in die Burg, die Brandenburg heißt, wurde vom Volk anerkannt und als Herr aufgenommen; in Kürze erfüllte er sein Versprechen. Er lud nämlich seinen Neffen, der von allen Fürsten des Stammes noch übrig war, zu sich ein, tötete ihn, nachdem er ihn hinterlistig gefangengenommen hatte, und unterstellte die Burg mit dem ganzen Gebiet der Botmäßigkeit des Königs.« (Widukind von Corvey: Res gestae Saxonicae – Die Sachsenchronik , übersetzt und herausgegeben von Ekkehart Rotter und Bernd Schneidmüller, Stuttgart 1981, S. 135)
    Wie Sie sehen, habe ich mir erlaubt, in einigen Punkten von dieser Darstellung abzuweichen. Widukind war keineswegs Zeuge dieser angeblichen Ereignisse. Sie erinnern sich, er war etwa acht Jahre alt, als Tugomir nach Hause zurückkehrte. Und seine unübersehbaren Vorurteile gegen alle Slawen machen ihn zumindest in dieser Hinsicht zu einem fragwürdigen Chronisten. Ich behaupte nicht, dass meine Version richtiger ist als seine. Aber es gibt berechtigte Gründe, seine Darstellung anzuzweifeln.
    Was wir darüber hinaus von Tugomir wissen, ist noch dürftiger und aus verschiedenen Quellen zusammenkonstruiert: Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er eine sächsische Grafentochter geheiratet. Wir wissen nicht, wer sie war, aber die beiden hatten eine beachtliche Kinderschar. Ebenso gilt als wahrscheinlich, dass Tugomir zum christlichen Glauben übergetreten ist (was nun auch wieder nicht so ungewöhnlich war, denn es stimmt, dass die obodritischen Fürsten schon seit dem Jahr 827 Christen waren).
    Weil wir so wenig über Tugomir wissen, konnte ich fast alles erfinden, was ihn praktisch zu einem ebenso fiktiven Protagonisten machte wie die erdachten Helden meiner früheren Romane, die Waringham etwa, die Durham oder Helmsby – und das war mir nur recht.
    Viele der slawischen Bräuche, die Glaubenswelt und Tempelriten, die ich beschrieben habe, hat es so oder ähnlich gegeben. Auf der Brandenburg gab es mit großer Wahrscheinlichkeit einen Jarovit-Tempel, auf dem Brandenburger Harlungerberg (heute Marienberg) ein Triglav-Heiligtum. Menschenopfer, Pferde- und Losorakel sind belegt.
    Ob die Slawen ihren Nachbarn westlich der Elbe in der Heilkunst wirklich überlegen waren, können wir nur vermuten, aber es gibt archäologische Belege dafür, dass bei den Slawen sogar Trepanationen, also Operationen am geöffneten Schädel, durchgeführt wurden. Nicht belegt hingegen ist das Wissen slawischer Heiler, dass Stutenmilch natürliches Kortison enthält und deswegen gegen Allergien eingesetzt werden kann. Es wird auch nicht davon berichtet, dass Otto an einer Lebensmittelunverträglichkeit litt.
    Der »Starstich«, die an Fürst Ratibor vorgenommene Augenoperation, ist seit babylonischer Zeit bekannt, wurde während
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