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Eiskalte Angst

Eiskalte Angst

Titel: Eiskalte Angst
Autoren: Vanessa Farmer
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    Als sie mittags Richtung Bern losfuhr, schien die Sonne, und die Straßen waren frei und trocken. Es war ein Tag, den man nur in den Bergen erlebte. Klare Luft, blauer Himmel und die schneebedeckte Landschaft des Berner Oberlandes, der Eiger, der seine Steinwand gegen die Sonne erhob und die Silhouette des 4000 Meter hohen Jungfraujoch.
    Es machte Spaß, in den malerischen Gassen von Bern zu spazieren. Dort gab es viele Läden mit originellen Artikeln. Sogar April als New Yorkerin war beeindruckt. Auf dem Rücksitz knisterten Einkaufstüten.
    Der Schneefall setzte ein, als sie von Bern zurück nach Grindelwald fuhr. In dem Touristendorf, eingebettet zwischen schneebedeckten Bergen, wohnte sie in einem Hotel.
    April war bei einem großen Zeitungsverlag beschäftigt. Als Marketing-Assistentin hatte sie die letzten drei Jahre damit verbracht, an ihrer Karriere zu arbeiten. Zweifellos hatte auch ihr Ehrgeiz dazu geführt, dass ihr Freund Peter sich von ihr abgewendet hatte. Sie hatten sich entfremdet. Als April erfuhr, dass Peter sie betrog, hatte sie die Beziehung beendet. Es war eine schmerzhafte Trennung gewesen.
    Sie war eine Frau der heutigen Zeit.
    War eine echte New Yorkerin.
    Sie mochte Woody Allan-Filme und die Strokes. Sie hatte eine Dauerkarte für die New York Yankees, überhaupt liebte sie die NFL, sie speiste bei Delomino’s oder in der City Hall, sie ging ins MoMA und war ein Fan von Letterman und den Desperate Housewifes. Sie weinte bei ‚Ein Herz und eine Krone’ und kannte Quentin Tarantino persönlich.
    In Europa wollte sie einen ausgiebigen Urlaub genießen. Sie würde die letzten Monate vergessen, würde einen neuen Anfang planen und sich gründlich erholen.
    Vier Jahre Partnerschaft waren eine lange Zeit. Die Erinnerung machte sie traurig und unkonzentriert.
    Möglicherweise war es eben diese Traurigkeit, die dafür sorgte, dass sie einen fatalen Fahrfehler beging.
    Zuerst waren es nur feine Flocken, Schnee, der auf der Straße schmolz, so wie er den Belag berührte, dann wurde aus grauem Riesel eine dichte weiße Wand. April überlegte, rechts heranzufahren und den Schneefall abzuwarten. Hatte sie möglicherweise Schneeketten im Kofferraum? Sie verwarf diesen Gedanken, da sie sowieso keinen blassen Schimmer hatte, wie man Schneeketten auf Räder zog. Wenn es im Big Apple schneite, nahm man ein Taxi.
    Also blieb ihr nur die Möglichkeit, mit Vorsicht und Geduld nach Grindelwald zu fahren.
    Sie fuhr am Thunner See vorbei und wenig später zeigte ihr ein Schild, dass es nur noch vier Kilometer bis Grindelwald waren. Erleichtert lehnte April sich zurück, schaltete impulsiv aus dem dritten Gang in den zweiten herunter, verschaltete sich, geriet in den ersten Gang und so war es geschehen. Kein Wunder. In Amerika fuhr man Automatic und nur dann Schaltgetriebe, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Der Motor drehte hoch, die Räder rutschten und sie verlor die Kontrolle über den Wagen.
    Unter ihr lag das Tal. Das bedeutete, es ging abwärts. Und abwärts hieß - es würde eine Rutschpartie werden, deren Ende nicht abzusehen war.
    Ein Ruck ging durch den Ford. Die Räder knallten an einen Bordstein.
    Die Scheibenwischer quietschten und schoben Schneeflocken von der Frontscheibe. April dünstete feuchte Panik aus und das Glas beschlug innerhalb weniger Sekunden. Sie saß eingepfercht in dieser Blechkiste und wurde herumgeschleudert, war hilflos den Straßenverhältnissen ausgeliefert.
    Sie starrte durch das trübe Glas und versuchte etwas zu erkennen, aber es war vergeblich. Für einen Moment sah sie sich im Rückspiegel. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten sie an.
    Es geschah alles wie in Zeitlupe. Sie konnte das Donnern ihres Herzen in ihren Ohren hören und ihr war, als habe man einen schwarzen Sack über ihren Kopf gezogen und sie auf eine Rutschbahn hinab gestoßen.
    Aprils Finger krallten sich um das Lenkrad, sodass ihre Knochen hervortraten. Ihr Körper verkrampfte sich. Es konnten nicht mehr als drei Sekunden vergangen sein, seitdem die Hinterräder den Kontakt mit der Straße verloren hatten. Trotzdem kam es ihr vor, als wäre sie schon seit Minuten auf dieser grauenhaften Achterbahn.
    Ihr Fuß hämmerte auf das Gaspedal.
    Das war unüberlegt, aber der Instinkt war stärker als die Vernunft. Erneut stieß der Wagen irgendwo gegen und April wurde hart nach vorne gedrückt, knallte mit den Rippen gegen das Lenkrad und die Einkaufstüten hinter ihr klatschten gegen den Fahrersitz.
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