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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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glaube, ich weiß sogar noch, wo es stattgefunden hat«, sagte er, als wäre das von Bedeutung. »Wenn ich nichts durcheinanderbringe, heißt der Ort Breznik und liegt in der Nähe von Brčko an der bosnisch-kroatischen Grenze.«
    Darauf konnte ich nichts erwidern, und ich horchte nur auf den düsteren Klang der Worte und wartete, ob noch mehr kommen würde, aber er schwieg. Auf einmal hörte ich im Hintergrund ganz deutlich Verkehrslärm, und ich fragte ihn, ob er in einer Telephonzelle stehe, doch er sagte nein, und daß er nur das Fenster offen hatte, weil es draußen warm war. Dann brach er wieder ab, schien aber zu lauschen, richtiggehend erpicht darauf, daß ich ihm noch eine Frage stellte und er erzählen konnte, und als ich mich erkundigte, was er mit dem Abend anfangen würde, meinte er, nichts, hinausgehen und draußen herumlaufen, und ich stellte mir die Straßen im letzten Licht vor und mußte mich gegen einen plötzlichen Anflug von Sehnsucht wehren, die Vorstellung von einer Stadt wie vor hundert Jahren, in der gerade der Trubel zum Erliegen kam und sich eine Friedlichkeit ausbreitete, die wahrscheinlich nie existiert hatte und einzig und allein meiner Nostalgie entsprang.
    Das war auch der Grund, warum ich ihn erst, als er sich das nächste Mal bei mir meldete, nach der Rolle von Schreyvogel fragte. Ich wollte von ihm wissen, ob er ihm abnahm, daß er wirklich keine Ahnung davon hatte, was damals an der Front in Slawonien passiert sein mochte, oder ob er glaubte, er weigere sich nur, darüber zu sprechen. Seine Antwort war, er kenne ihn zu wenig dafür, aber gleichzeitig könne ich ihm wahrscheinlich keinen Grund nennen, warum er länger ein Geheimnis daraus machen sollte, seit Allmayer tot war, warum etwas anderes vorspielen, wenn er in Wirklichkeit genau Bescheid wisse, und damit gab es für ihn nichts weiter darüber zu reden.
    Es muß auch bei dieser Gelegenheit gewesen sein, daß ich mich noch einmal bei ihm erkundigte, was eigentlich mit der Aufnahme des Interviews war. Ich hatte ihn gleich, nachdem wir das Band angehört hatten, danach gefragt, aber er war mir nur ausgewichen und schien auch jetzt nicht zu verstehen, wie ich mich überhaupt noch dafür interessieren konnte. Offensichtlich hatte er keine Ahnung, was er damit machen sollte, aber er sagte, wahrscheinlich würde er es irgendwann Isabella zurückgeben, und als ich ihm entgegnete, ich fände es unerträglich, daß ein Kerl wie Slavko frei herumlief, wenn man die Möglichkeit hatte, ihn hinter Gitter zu bringen, lachte er nur.
    »Ich weiß nicht, was du von mir willst« sagte er. »Wenn du mich fragst, läßt sich damit nichts, aber auch gar nichts beweisen.«
    Dann begann er noch einmal.
    »Soll ich es dem Staatsanwalt schicken?«
    Obwohl er es nicht sehen konnte, nickte ich, und ich hatte die absurde Vorstellung, daß er umgekehrt mit einem Kopfschütteln reagieren mußte, bevor er fortfuhr.
    »Das kannst du nicht ernst meinen.«
    Ich mochte seinen spöttischen Ton nicht.
    »Wer auch immer es ist«, erwiderte ich daher, ohne mich darauf einzulassen. »Aber irgend jemand muß doch dafür zuständig sein.«
    Damit hatte es sich, denn weder er noch ich kam jemals wieder darauf zurück, und wenn ich mich daran erinnere, meine ich immer noch, ich hätte beharrlicher sein sollen. Ich weiß nicht, warum er mich abblockte, aber es muß etwas mit dem schieren Unglauben zu tun gehabt haben, er könnte in eine Sache verwickelt sein, die für die Wirklichkeit auch nur die geringste Bedeutung hatte. Wenn ich zuerst noch dachte, daß er nur sein Wissen hütete und sich überlegte, wie er es ausschlachten sollte, neige ich jetzt zur Überzeugung, es war ausschließlich an seiner Haltung gelegen, seiner aberwitzigen Verdrehtheit, daß ihm allein die Vorstellung, selbst einschreiten, ernsthaft etwas tun zu können, anmaßend und eitel vorkam.
    In den Wochen darauf rief er mich alle paar Tage an, und es spielte sich so ein, daß ich fast genauso häufig Helena traf. Ich verabredete mich mit ihr nach der Arbeit, und wenn ich heimkam, konnte das Telephon klingeln und er dran sein, oder er meldete sich am Vormittag bei mir, und ich hatte mich für den Mittag mit ihr verabredet. Es war beinahe so wie in der Zeit nach seinem Unfall, nur daß sie jetzt kaum mehr über ihn sprach, und auch er vermied es, sie zu erwähnen, richtete mir manchmal Grüße von ihr aus, und ich wunderte mich, warum er nicht wußte, daß ich sie gleich sehen würde oder gerade
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