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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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konnte, weil es von vornherein zu spät war und sich mit dem Geschriebenen kein Toter mehr zum Leben erwecken ließ.
    Darüber hatte ich mit Helena schon am Nachmittag gesprochen, und als ich jetzt noch einmal darauf zurückkam und sagte, eher sei das Gegenteil der Fall, es könne töten, und wenn Paul nicht achtgab entwickelte er sich darin zu einem wahren Meister, sah sie mich nur fragend an. Zum Glück ahnte sie nicht, daß es dabei um sie ging, und ich dachte, was für ein Leben, was für eine Literatur, die so etwas überhaupt möglich machte, während ich sie immer noch festhielt, als könnte ich sie damit vor seinen bösen Absichten bewahren. Ich wußte, daß sie auf eine Erklärung wartete, aber statt etwas auszuplaudern, fing ich an, davon zu reden, wie aberwitzig es war, daß ausgerechnet er sie seinen Todesengel genannt hatte.
    »Ich weiß noch immer nicht, was er damit gemeint hat«, sagte ich. »Es scheint aber bestens zu seinem Hang zur Dramatik zu passen.«
    Obwohl ich es erwartet hatte, lachte sie nicht und fragte mich statt dessen nur, warum ich mir überhaupt noch Gedanken darüber machte.
    »Das ist doch Unsinn.«
    Auf einmal küßte sie mich.
    »Glaubst du nicht?«
    Es war kaum mehr als ein Hauch, aber ich reagierte so überrumpelt darauf, daß ich nur halb zuhörte, als sie fortfuhr, ich solle ihn doch lassen, wenn er seine verqueren Vorstellungen zum Schreiben brauche.
    »Er hat immer zu mir gesagt, andere haben ihre Muse, und ich habe dich«, begann sie noch einmal. »Wenn er sich nicht schlimmer vergriffen hat, ist mir das nur recht gewesen.«
    Ich sah sie an, aber es schien sie nicht zu treffen, und wenn ich daran dachte, wie er am Anfang von ihr geschwärmt hatte, ging für mich nichts mehr zusammen. Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter, und ich erinnerte mich daran, wie er irgendwann davon gesprochen hatte, ohne sie nicht mehr leben zu wollen, um sich, wie es seine Art war, im nächsten Augenblick gleich wieder zu korrigieren. Ich sagte nichts, weil ich den Gedanken nicht los wurde, daß er alles, was ich ihr sagen könnte, wahrscheinlich schon einmal gesagt hatte, und stand nur da und sah wie ein Unbeteiligter zu, wie meine Hände in einem fort über ihr Haar strichen, immer die gleiche Bewegung, vom Scheitel bis zu den Spitzen, als müßte ich sie und nicht nur sie beschwichtigen.
    Sie blieb in dieser Nacht bei mir, aber ich werde nicht den Fehler machen, mehr darüber verlauten zu lassen, werde mich hüten, davon zu erzählen wie in den Liebesromanen, außer daß ich sie gebeten habe, ein paar Worte kroatisch für mich zu sprechen. Ich erinnere mich, wie sie zuerst zögerte, dann aber meinem Drängen doch nachgab und in ein dunkles, weiches Monologisieren verfiel. Als ich sie fragte, was sie gesagt hatte, antwortete sie, sie habe die Sprecherin einer Sendung für Seeleute imitiert, einem abwechselnd von Split und anderen Küstenstädten ausgestrahlten Radiowunschprogramm, eine Stimme, die Grüße ausschickte an ein Schiff, das unterwegs war auf dem Meer, ein paar Sätze, die sanft daherkamen und ohne Bedeutung und mich in den Schlaf wiegen sollten, und es ist wahr, ich hatte Paul vergessen, keinen Gedanken daran verschwendet, was er von alldem wohl halten würde, bis sie mich in der Morgendämmerung darauf brachte.
    »Denkst du an ihn?«
    Ich hatte geglaubt, sie würde schlafen, und wußte umgekehrt nicht, warum sie sich so sicher sein konnte, daß ich wach war, wenn ich die Augen geschlossen hatte und vollkommen ruhig dalag, doch aus ihrer Stimme war kein Zweifel zu hören.
    »Was ist mit dir los?«
    Ich schwieg, und sie wiederholte die Frage.
    »Nichts«, sagte ich schließlich. »Warum?«
    »Du denkst doch an ihn.«
    Ich öffnete die Augen, und ihr Gesicht war ganz nah vor mir. Sie hielt den Atem an, und ich wartete, bis sie die Luft so geräuschlos wie möglich ausblies. Dann tippte ich mit meinem Zeigefinger auf ihre Stirn.
    »Fällt dir nichts anderes ein?«
    Ich fuhr ihr müde durchs Haar.
    »Weshalb sollte ich an ihn denken?«
    Zweieinhalb Wochen später war er tot, und weder sie noch ich hatte vorher ein weiteres Mal mit ihm gesprochen. Er war in seinem Zagreber Hotelzimmer aufgefunden worden, Schlaftabletten und kein Abschiedsbrief, keine Papiere außer einem einzelnen Blatt mit dem Satz Ich werde nicht mehr schreiben und darunter Cesare Pavese, Das Handwerk des Lebens , keine Spur von seinem Roman, und als ich sie bat, zu Hause nachzuschauen, fand sich auch dort nichts. Das
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