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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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Mischung aus Ironie und Ernst, enthielt alles, die Vorstellung von einem, der in dreiviertel langen Hosen mit einem Schmetterlingsnetz auszog und leer in der Luft herumfuchtelte, bis ihm irgendwann vielleicht doch ein Fang glückte oder er seine Bemühungen entnervt aufgab.
    Der erste Kontakt, den er jedenfalls herstellte, war mit Schreyvogel, dem Journalisten, der Allmayer damals auf der Fahrt zu seinem Interview hätte begleiten sollen, dann jedoch in Zagreb zurückgeblieben war, und in Helenas Augen hätte ihm nichts Besseres einfallen können, als sich ihn zu verpflichten.
    »Er hat gewußt, daß er als Korrespondent für mehrere deutsche Zeitungen wieder in der Stadt lebt und sich gleich in den ersten Tagen mit ihm verabredet«, sagte sie. »Was auch immer er sich von ihm versprochen haben mag, es ist ihm zwar nicht gelungen, alles aufzuklären, aber Licht scheint durch ihn nichtsdestotrotz in die Sache gekommen zu sein.«
    Angeblich wollte Paul ihn an dem Ort treffen, an dem er selbst Allmayer nach dessen Rückkehr von der Front getroffen hatte, und das war im Esplanade, und wenn ich sie darüber erzählen hörte, konnte ich mir vorstellen, wie er dort aufgetaucht war, ein Mann, klein und schon ein bißchen verhutzelt, der die Kellner mit seinen abgestandenen Sprüchen belästigte, sie immer wieder fragte, ob sie ihm das Wasser reichen könnten oder reinen Wein einschenken, und darüber in ein überdrehtes Lachen ausbrach. Wenn es stimmte, was sie sagte, legte er sofort den Enteignungsbescheid vor, den er dabei hatte, den Beschluß des Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens , wie sie genüßlich zitierte, aufgrund dessen das gesamte Eigentum seiner Großeltern in Slawonien an den Staat übergegangen war, im Sommer oder im Herbst 1945, einen abgegriffenen und bräunlich vergilbten Wisch, als wäre der ein Ausweis, der ihm jetzt zusätzliche Rechte einräumte, und das machte ihn zu einer noch viel skurrileren Figur, als er für mich nach allem, was ich über ihn gehört hatte, ohnehin schon war. Er mußte knapp zehn Jahre davor, während des Krieges in Kroatien, im Hotel ein und aus gegangen sein, und ich konnte nicht anders, als seine Anekdoten, von denen sie sprach, als würde sie ihm kein Wort glauben, mit den Photos der Berühmtheiten in Zusammenhang bringen, die im Foyer hingen, seine wüsten Geschichten, wen man unmittelbar vor größeren Kampfhandlungen auf den Fluren des Hauses habe treffen können, welche Waffenhändler und Kriegsherren in welch illusterer Begleitung, mit den Bildern der Schauspielerinnen und Sängerinnen neben dem Eingang zum Ballsaal.
    Von außen wirkte der Kasten mit seinem grünlichen Anstrich wie eine Festung, und Helena war überzeugt, daß es diesen Hintergrund brauchte, damit Paul überhaupt glauben konnte, was Schreyvogel ihm von seinem Treffen mit Allmayer erzählt hatte.
    Das Verwunderliche daran war, daß sie davon sprach, als wäre sie dabei gewesen und würde die beiden vor sich sehen, den einen von seiner Reise nach Vinkovci noch müde, während der andere schon aufgeregt wartete.
    »Er soll gleich gemerkt haben, daß er niedergeschlagen war, als er hereingekommen ist«, sagte sie. »Wenn er ihn nicht erst zwei Tage davor gesehen hätte, wäre es ihm schwergefallen, ihn wiederzuerkennen.«
    Mir kam das nicht ungewöhnlich vor.
    »Schließlich war Allmayer gerade von der Front zurück.«
    Das sagte ich, um irgend etwas zu sagen, aber wenn ich dachte, ich würde endlich erfahren, was dort genau passiert war, täuschte ich mich.
    »Er scheint ihm wenig von dem Interview erzählt zu haben«, erwiderte sie auf meine Frage. »Offenbar hat er ihn nur gewarnt, sich vor solchen Ausflügen zu hüten, und ein ums andere Mal bekräftigt, wie recht er hatte, nicht mitgefahren zu sein.«
    Dann habe er zwei Gläser Wein in einem Zug ausgetrunken und sei mit ineinander verknoteten Händen dagesessen, schaute durch Schreyvogel hindurch und entschuldigte sich, nicht gesprächiger zu sein. Nach einer Weile fing er immer wieder an, daherzuplappern, um mittendrin plötzlich abzubrechen und ihn zu fragen, ob er zu viel rede. Es endete damit, daß er ihn einlud, am nächsten Morgen, wenn er nach Hause fuhr, mitzukommen, und darüber sei er rührselig geworden, habe ihm ein ums andere Mal das Versprechen abgenommen, ihn nicht allein zu lassen, und nicht mehr aufgehört zu bitten und zu betteln, bis er aus seinem Sermon herausgerissen wurde.
    Denn ein Mann trat an ihren Tisch,
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