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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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und ich es bejahte, ließ er sich Zeit, fortzufahren, und schien nach jedem Wort zu lauschen, ob ich mich nicht doch auf und davon gemacht hatte.
    »So wie er haben damals zu Hause die Männer ausgesehen, die am Sonntagvormittag nach der Kirche zum Kartenspielen ins Gasthaus gegangen sind«, sagte er. »Es ist ihre Ausstrahlung gewesen, die er gehabt hat, und ich habe mich vor ihnen immer gefürchtet, aber genau in dieser Furcht auch noch Geborgenheit gesucht.«
    Das war ihm dann aber doch zu viel.
    »Zumindest habe ich nichts anderes gehabt.«
    Ich vermochte mir darunter nur etwas sehr Vages vorzustellen, aber als ich ihn fragte, ob er den Leuten in seinem Dorf nicht unrecht tat, wenn er sie mit dem Kerl auf dem Friedhof verglich, ging er nicht wirklich darauf ein. Er sagte, es sei ein bestimmter Geruch, nicht anders, als es Helena einmal gesagt hatte, und viel mehr war darüber nicht aus ihm herauszubringen, nur immer neue Anläufe, zu erklären, was an ihrem Äußeren es war, das sie kenntlich machte, noch bevor sie eine Silbe von sich gaben, Versuche, die mit dem hilflosen Satz endeten, ich könne es nur verstehen, wenn ich es selbst erlebt hätte. So plakativ das klang, das Eindeutigste, was er sich entlocken ließ, war, es seien Männer gewesen, die ihre Tiere besser behandelten als ihre Frauen und ihre Kinder und trotzdem, wenn es sein mußte, den eigenen Hund fünfzig Schritte vor sich aufstellen und mit ihrem Jagdgewehr kaltblütig abknallen konnten.
    Dann erzählte er davon, daß er auch in die Hercegovina hinübergefahren war, nach Široki Brijeg, um dort das Franziskanerkloster anzuschauen, aus dem sich im Zweiten Weltkrieg viele Ustascha-Führer rekrutiert hatten, und er war unsicher, als er meinte, es sei das gleiche Wiedererkennen gewesen, es habe ihn an seine Internatszeit erinnert, die Jahre im Konvikt, als er in dem Ort ankam, mitten am Tag, und die Schule gerade aus war und eine Schar Mädchen in die Kirche hineinstürmte, Vierzehn- oder Fünfzehnjährige, viel zu kindlich für ihr Alter, die er dann mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen in den Gebetstühlen knien sah. Es war ihm alles auf erschreckende Weise vertraut, sagte er, das müde Licht, trotz der Sonnenstrahlen, die durch die Seitenfenster hereinfielen, der muffige Geruch wie in einem Kellergewölbe, das Schlurfen von Schritten, ohne daß jemand zu sehen war, Papierrascheln und Schatten, die über die Wände huschten, und er sei mit angehaltenem Atem dagestanden. Das gleiche Geheimnis, die gleiche Stille, so schien es ihm, wie er sie damals empfunden hatte, die gleiche weihrauchschwangere Benommenheit, als vorn am Altar eine Nonne Klavier zu spielen begann, aber so sehr er die Atmosphäre auch beschwören mochte, am Ende unterbrach er sich.
    »Das ist leider nur die halbe Geschichte.«
    Er fragte, ob ich den Rest auch hören wollte, und als ich schwieg, begann er von dem General zu sprechen, wegen dem er im Sommer davor der Nachbarin von Helenas Eltern die ganze Zeit in den Ohren gelegen war, und erzählte, daß erst vor wenigen Monaten ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden war und das Gerücht ging, er sei auf der Flucht von den Mönchen versteckt worden.
    »Angesichts der finsteren Tradition, die sie haben, wäre es nicht weiter verwunderlich, wenn er ausgerechnet bei ihnen Unterschlupf gefunden hätte«, sagte er. »Er hat ihnen sicher kaum zwielichtig genug sein können, wenn man bedenkt, daß sie in der Vergangenheit am liebsten mit dem Kreuz in der einen Hand, einer Pistole in der anderen aufgetreten sind.«
    Da paßte es für ihn bestens ins Bild, daß mit Međugorje ein ausgewachsener Marienerscheinungsort ganz in der Nähe lag, aber ich folgte ihm nur mehr halb, als er davon sprach, daß er noch am selben Tag auch dort gewesen war. Es brachte für mich nichts Neues, sich über die Ramschstände mit Souvenirs und Devotionalien auszulassen, wie er es tat, über die Leute herzuziehen, die aus aller Welt dorthin pilgerten, erschien mir geschenkt, oder darüber zu reden, daß er eine Weile einem deutschen Pfarrer zugehört hatte, seinen Verranntheiten, seinem dummem Geschwätz, daß hier der Limes verlaufe, seit Jahrhunderten das Ende der gottgefälligen Welt. Ich konnte ihm in allem nur zustimmen, und vielleicht störte mich das, störte mich die Selbstgewißheit, mit der er sich über den faulen Zauber erhob, die Risikolosigkeit seines Unterfangens, die endgültige Sicherheit, recht und nur recht zu haben, die ihn sonst
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