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DoppelherzTOD

DoppelherzTOD

Titel: DoppelherzTOD
Autoren: Henner Kotte
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Kein Mond, keine Sterne. Die Regenwolken hängen tief. Wind weht. Tropfen knallen aufs Kunstleder einer großen Reisetasche. Neben dem Reißverschluss sammeln sich kleine Lachen. Matt glänzt der schwarze Lack im Mondlicht. Die Tasche scheuert am Mantel seines Trägers. Die Hand ist verkrampft. Die Knöchel der Finger sind weiß. Die Schritte hinterlassen Spuren in der feuchten Erde, die sich sofort mit Wasser füllen. Einsam geht die Person mit der Tasche über den Friedhof. In der anderen Hand hält sie eine Taschenlampe. Der Lichtstrahl durchdringt mühsam das Dunkel. Nachts und bei Regen trauert kein Mensch an den Gräbern.
    Manchmal streift das Licht der Lampe über Sträucher und Steine und wirft lange Schatten. Inschriften sind lesbar. Namen. Daten. Todestage. Eichenlaub, Engel und Worte: Unvergessen. Warum? Du wirst in unsren Herzen bleiben. Die Gestalt im Dunkel verlässt den markierten Weg. Die Wiese ist in letzte Ruhestätten geteilt. Manche zieren frische Blumen und Kränze. Vielleicht haben heute Hinterbliebene hier Tränen vergossen. Jetzt sind alle Wege menschenleer.
    Die Tasche wird neben einen Laubhaufen gestellt. Die Friedhofsgärtner haben die welken Blätter unter einem Netz gesammelt. In kalten Nächten schützen sie den Boden vorm Frost. Gestorben wird täglich. Begraben auch bei Temperaturen unter Null.
    Die Gestalt löst das Netz und schiebt mit dem Fuß die faulenden Blätter zur Seite. Dann holt sie aus der Tasche ein Schäufelchen. Kinder bauen damit Burgen oder graben Kanalsysteme am Strand. Die Gestalt bringt die Taschenlampe auf dem Erdhaufen in eine feste Position, und beginnt im schwachen Licht, Erde mit dem Schäufelchen abzutragen. Ein Haufen entsteht auf der Wiese. Einige Blätter fegt ein Windstoß davon. Die Regentropfen knallen weiter aufs Kunstleder und spritzen. Mehrmals rollt die Lampe weg und schiebt die Grabstelle ins Dunkel. Die Gestalt unterbricht erst nach Minuten ihr Tun und richtet den Lichtkegel neu aus. Das Grab wird tiefer. Es wird nicht größer als ein Stiefelkarton aus dem Schuhhaus.
    Endlich steckt die Gestalt ihr Schäufelchen in die Spitze des Erdhaufens. Dann zieht sie am Reißverschluss der Tasche. Darinnen ist eine Schachtel, kaum größer als für Winterstiefel. Die Gestalt hebt den Deckel: ein Kleinkind, fast noch ein Baby. Ein, eineinhalb Jahre vielleicht. Der Körper steckt in einem rosa Kleid. Die Händchen gefaltet. Das Mädchen sieht aus, als würde es schlafen. Ein Lumpenpüppchen daneben und eine Plüschmaus. Eine Spieluhr wird aufgezogen. Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann in unserm Kreis herum…
    Die Gestalt hebt das Kind heraus, küsst beide Wangen und drückt es an ihre Brust. Dann legt sie es zurück, packt den Deckel drauf und blickt in die Grube. Sie kniet und senkt den Karton hinab. Feierlich und mit Würde. Sie weint. Sie schwitzt. Ihr Gesicht ist nass, auch vom Regen. Sie wirft drei Hände voll Erde hinein. Der Ton des Aufpralls ist dumpf und schauerlich. Die Gestalt steht starr. Ihr Murmeln ist vielleicht ein Gebet. Keiner hat das gewollt. Keiner. Verzeih. Verzeih, wenn du das kannst. Nach Minuten beginnt die Gestalt, die Grube zuzuschütten. Sie nimmt dazu beide Hände, hockt auf dem Boden. Danach trampelt sie die lockere Erde mit den Füßen fest. Zum Schluss schiebt sie wieder Laubblätter darüber und strafft das Netz. Niemand erkennt dieses neue Grab mehr.
    Die Gestalt setzt sich, die Tasche zwischen den Füßen, auf eine Bank nahebei. Der Friedhof ist nachts verschlossen. Bis zum Morgen sind es noch Stunden. Sie weint. Wind weht. Regen fällt. Kein Mond und keine Sterne in dieser Nacht.

1.
     
     
     
    »Alle angebotenen Speisen werden von uns frisch zubereitet. Die Bereitstellungszeit kann mitunter bis zu dreißig Minuten in Anspruch nehmen. Im Interesse einer stets hochwertigen Qualität und Frische bitten wir deshalb um etwas Geduld und danken für Ihr Verständnis.«
    Es war wie Gedichtaufsagen in der Schule, und so hörte es sich auch an: auswendig gelernt. In der Speisekarte waren die Sätze zu lesen, Frederike hatte ihn ausdrücklich darauf hingewiesen. Lange Wartezeiten beeinflussten Appetit, Laune und Trinkgeld. Kain hoffte, dass er die Sätze korrekt gesprochen hatte. Frederike war da eigen. Der Gast stand in ihrem Waschsalon im Mittelpunkt. Immer! Die Bedienungen waren zuvorkommend, freundlich, unaufdringlich. Immer! Nach diesen kommunikativen Eigenschaften wählte die Chefin ihr Personal aus. Ob angestellt oder
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