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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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passieren, aber ich würde mir schon etwas für sie ausdenken.«
    Bei allem, was ich mit ihm erlebt hatte, so kannte ich ihn nicht, doch als ich ihn bat, sich zurückzuhalten, ging er darüber hinweg, sprach einfach weiter, als ob nichts wäre, sagte, sie könnte auch auf eine Mine treten und vielleicht sogar schwanger sein, und ich suchte ihren Blick. Es war, als wüßte er, daß sie bei mir war, so sehr verbiß er sich in sie, spekulierte, ob er sie überleben ließe oder nicht, und ich brachte wieder keine Silbe heraus und schaute nur zu, wie sie immer ratloser wurde und schließlich ein Anflug von Entsetzen in ihren Augen aufblinkte. Sie stand mit aufgestützten Ellbogen vor dem Fenster, sah mich an, als könnte sie an meiner Mimik ablesen, was er daherschwadronierte, und machte sich gleichzeitig über ihn lustig, grimassierte, wie wenn sie ihn imitieren wollte, und ich lächelte ihr zu, als ich ihm schließlich ins Wort fiel und er sich zu rechtfertigen versuchte.
    »Das wollen die Leute doch lesen.«
    Ich mochte es nicht, daß er immer noch dachte, in mir selbstverständlich einen Verbündeten zu haben, und widersprach ihm.
    »Das glaubst du doch selbst nicht.«
    Ich war lauter geworden.
    »Warum erzählst du mir das alles überhaupt?«
    Er antwortete nicht, und ich ließ ein paar Augenblicke verstreichen, in denen ich glaubte, im Hintergrund Türenschlagen zu hören, und ihn schon fragen wollte, wer bei ihm war, nur um das Gespräch weiterzuführen, mir es dann aber anders überlegte und ihn einfach vor den Kopf stieß.
    »Wenn dir nichts Besseres einfällt, ruf mich nicht mehr an«, sagte ich, und ich brauchte mich gar nicht zu bemühen, leise zu sein, so sehr brach meine Stimme dabei ein. »Ich will mit deinen Hirnwichsereien nichts zu tun haben.«
    Bevor er etwas erwidern konnte, hatte Helena ihre Hand auf das Telephon gelegt und die Verbindung unterbrochen, und ich mochte es, mit welcher Selbstverständlichkeit sie das tat. Ich hatte nicht gemerkt, daß sie nähergekommen war, aber sie hielt sich ganz dicht neben mir, und ich hob nicht mehr ab, als er gleich wieder anzurufen versuchte und es lange klingeln ließ, und dann nach einer kurzen Pause von neuem, ehe er es aufgab. Pötzlich war es still, auch von draußen kein Geräusch, und ich umarmte sie, als sie wissen wollte, was er gesagt hatte, drückte mein Gesicht in ihr Haar und antwortete nicht, roch daran und konnte nicht genug kriegen vom Geruch ihrer Nähe. Eine Weile stand ich nur mit ihr da, schaute zu, wie es draußen dunkel wurde, und wünschte mir, nichts von dem gehört zu haben, was er ihr zugedacht hatte, nichts von dem Schicksal, seiner Zukunft für sie, oder daß sie keine hätte, und mußte mich gegen die Befürchtung wehren, ob Aberglauben oder nicht, daß alles, was irgendwann einmal ausgesprochen wurde, für immer in der Welt blieb.
    Dabei erschien es mir absurd, daß er sich überhaupt so weit verrannt hatte. Für mich paßte es nicht zu ihm, war er doch sonst immer nur voll Spott gewesen für alle, die am Anfang eines Krieges und am Ende ihre großen Auftritte hatten und vom Singen und vom Rühmen nicht genug bekamen, wie er sagte. Er konnte dann so sein, wie Isabella es von Allmayer erzählt hatte, auf eine Art empfindlich, als könnte die Darstellung einer Katastrophe schlimmer sein als die Katastrophe selbst, und ich zweifelte nicht daran, daß er manchmal geradezu körperlich darunter litt, wenn er etwas zu Gesicht bekam, womit er nicht einverstanden war.
    Ich erinnerte mich wieder daran, wie er über eine Journalistin gesprochen hatte, von der es ein Photo gab, aufgenommen irgendwo in Bosnien, wie sie aus der Luke eines fahrenden Panzers hervorspähte, als würde sie höchstpersönlich eine nochmalige Unterwerfung des geschundenen Landes befehligen, und sagte mir, er hatte mit seinen Plänen kein Recht, sich über sie zu erheben. Es war mir zu einfach, wie schnell er sie verdammte, wenn er bei seiner eigenen Geschichte keine Rücksicht kannte und meinte, sich alles erlauben zu können. So sehr er von ihrem Auftritt abgestoßen war, so wenig mochte ich seine Arroganz, und als mir wieder einfiel, wie lange wir zeitweilig nur über einen möglichen Titel diskutiert hatten, erschien mir alles müßig, kam es mir vor, als würde allein schon in seiner Wahl das Paradoxe jeglichen Bemühens sichtbar, die Tatsache, daß es ja wirklich Landschaften nach der Schlacht waren und man in ihrer Beschreibung gar nichts mehr richtig machen
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