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Das Gutachten

Das Gutachten

Titel: Das Gutachten
Autoren: Sina Cartier
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mir möchtest.«
    »Ich wollte mal fragen,
ich meine, also, sie sind doch sozusagen ein Arzt. Also, auf dem Schild da
draußen steht ja auch ‚Doktor‘. Und bei Ärzten gibt es doch auch so etwas wie
ärztliche Schweigepflicht, oder?«
    Dr. Renn setzte sein
bekanntes Lächeln auf, mit dem er sehr vertrauenserweckend wirkte.
    »Jetzt weiß ich, worauf du
hinaus willst, Sandra. Du hast Angst, ich könnte die Details unserer Sitzungen
im Prozess ausbreiten. Ist es das?«
    Sie nickte stumm, hielt
aber seinem Blick stand.
    »Ich kann dich beruhigen.
Es gibt wirklich so etwas wie die ärztliche Schweigepflicht. Diese ist
allerdings bei eingebrachten Gutachten natürlich nur eingeschränkt. Es würde ja
auch keinen Sinn machen, zuerst einen Spezialisten einzufordern, der dann
allerdings nichts sagt, weil ihm die Schweigepflicht auferlegt ist.
    In unserem Fall geht es
aber um eine andere Art von Gutachten und deshalb werde ich in meinen
schriftlichen Ausführungen und auch bei der Vernehmung keine deiner intimen
Details nennen.
    Meine Aufgabe soll es
sein, deine Persönlichkeit darzustellen, vor allem im Hinblick auf deine
Beziehung zu dem mitangeklagten Christoph Wagner. Auch wenn meine Erkenntnisse
nicht Teil der Ermittlung sein werden, gehe ich davon aus, dass sie für das
Gesamtbild wichtig sind.
    Die Richterin, ich weiß
inzwischen, wer den Vorsitz haben wird, möchte keine Lebensgeschichte
ausgebreitet haben. Daher muss sie auch nicht wissen, wie du zu dem Menschen
geworden bist, der in wenigen Tagen vor ihr auf der Bank sitzt.
    Sie interessiert in erster
Linie das Hier und Jetzt, deshalb hat man mich beauftragt, etwas zusätzliches
Licht in eure komplizierte Beziehung zu bringen. Ich wurde schon häufiger mit
Einschätzungen von Angeklagten beauftragt und genieße daher ein gewisses
Vertrauen vor Gericht.«
    Sandra grinste nun breit.
»Und was werden sie denen sagen, Herr Doktor?«
    »Nun, ich bin noch nicht
ganz fertig mit meinem Gutachten und immerhin zählt die heutige Stunde ja noch
dazu. Außerdem dürfte ich es dir auch nicht im Vorfeld sagen, in diesem Punkt
unterliege auch ich der Stillschweigeverordnung.«
    Dr. Renn war aufgestanden
und schritt langsam im Raum auf und ab. Er blickte Sandra durchdringend an,
lächelte aber dabei.
    »Mir fehlt noch ein
Puzzlestück in deiner Geschichte, ein entscheidendes Teil. Als ich mir die
Protokolle der letzten Stunden und auch deine diversen Hausaufgaben noch einmal
in Ruhe durchgelesen habe, entstand vor meinem inneren Auge deine Biografie.
Dass diese zur Zeit noch sehr lückenhaft ist, verwundert nicht. Immerhin haben
wir uns auch nur wenige Male getroffen.
    Was mir allerdings nicht
klar geworden ist, wie du letzten Endes mit Christoph zusammengekommen bist.
Ich habe eine ausführliche Schilderung von deinem ‚Ersten Mal‘ mit ihm, das du
selber sehr zwiespältig beschrieben hast.
    Auch meine ich mich daran
zu erinnern, dass ihr nach diesem Erlebnis im Wald nicht direkt ein Paar
geworden seid, richtig?«
    Sandra nickte abermals.
»Ja , da waren noch ein paar Monate dazwischen.«
    »Die weiteren Erzählungen
von dir stammen dann aus der Phase, in der ihr bereits als Paar zusammenlebtet.
Was ist dazwischen passiert?«
    »Ich hatte mir nach dem
ersten Sex mit Chris ziemliche Vorwürfe gemacht.«
    »Du hast dir Vorwürfe gemacht?
Nicht ihm? Immerhin hat er dich doch überrumpelt, um nicht zu sagen
‚vergewaltigt‘.«
    »Quatsch!« In Sandras
Augen spiegelte sich echte Entrüstung über den Einwand des Psychologen. »Chris
hat mich doch nicht vergewaltigt. Er konnte doch nicht wissen, dass ich zu dem
Zeitpunkt noch so unerfahren war. Ich war einfach nur naiv und ungeschickt
gewesen.«
    Dr. Renn war froh, diese
geplante Provokation schon so früh im Gesprächsverlauf angebracht zu haben und
machte sich von Sandra unbemerkt eine kleine Notiz.
    »Also, jedenfalls war ich
immer noch fasziniert von Chris und wollte total gern richtig mit ihm zusammen
sein. Ich wusste aber, dass ich dafür eine zweite Chance brauchen würde, die
ich nicht vermasseln wollte.«
    Sandra stockte, so wie sie
es immer tat, wenn ihr ein Thema unangenehm wurde.
    »Und sie verraten wirklich
keine Details in ihrem Gutachten?«
    »Keine Details, die zu
intim sind. Möchtest du etwas trinken?« Der Psychologe stellte ein Glas mit
Wasser vor Sandra auf den Tisch und lieߧ ihr wieder etwas Zeit.
    »Nun gut. Ich wollte mich
besser vorbereiten auf ein mögliches zweites Treffen und habe daher
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