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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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Protest, der zur Gründung einer neuen Partei führte, die in vielen Länderparlamenten und im Bundestag sitzt, Minister und einen Vizekanzler stellen sollte: Das gibt es weder in Schweden noch in Frankreich oder den USA. Und auch nicht in Japan, obwohl Japan das bisher einzige Land ist, das Opfer atomarer Waffen und zudem, wenn auch erst kürzlich, durch die Havarie eines Kernkraftwerks geschädigt wurde. 25 Bei einem Vergleich der weltweiten Bewegungen zeigt sich, dass die alte Bundesrepublik in punkto Widerstand gegen die Kernenergie in den Worten des Technikhistorikers Joachim Radkau „eine konkurrenzlose Spitzenposition einnimmt“. 26
    Die Ursachenforschung ist über das Beschreiben des Phänomens nicht hinausgekommen. Dennoch liegt auf der Hand, dass neben allem Romantik- und Idealismus-Erbe (mit dem es bei genauerer Betrachtung oft nicht so weit her ist) ein Zusammenhang zwischen dem Entstehen der Umweltbewegung und der besonderen politischen und gesellschaftlichen Situation bestehen muss.
    Grüne Bürgerinitiativen gegen den Ausbau der Kernkraft und zeitgleiche Proteste gegen die atomare Wiederbewaffnung bildeten in Deutschland bereits in den frühen Siebzigern eine im Vergleich zu anderen Ländern singuläre Melange. 1979 verabschiedeten die Außen- und Verteidigungsminister in Brüssel den Nato-Doppelbeschluss, der Deutschland zum potenziellen Schauplatz eines nuklearen Krieges machte. Das Gefühl der Ohnmacht, das viele Menschen damals beschlich, war dabei auch den politischen Verfahren geschuldet, mit denen Entscheidungen getroffen und umgesetzt wurden – eine emotionale Reaktion auf Technik, die wieder aktuell ist.
Ahnungen der Angst
    Wenn es ein „Fangbuch“ der Alltagsgeschichte gäbe, das die Ahnungen der Angst am Beginn des Jahrzehnts festhält, könnte es mit folgenden Einträgen begonnen haben: 1981 hörte die Republik Udo Lindenbergs Lied Wozu sind Kriege da? , in dem sich die Zeile des jungen Pascal findet: „Herr Präsident, ich bin jetzt 10 Jahre alt,/ und ich fürchte mich in diesem Atomraketen-Wald.“
    Ein Jahr später, 1982, gewann Nicole mit Ein bisschen Frieden den europäischen Grand Prix. Man denke für einen Augenblick an Lena Meyer-Landrut und die Erfolge osteuropäischer Dance-Formationen bei Veranstaltungen des Eurovision Song Contest, die alles in allem austauschbar sind: Das Thema Weltfrieden würde heute nicht mehr als ein müdes Lächeln erzeugen.
    Damals sah das anders aus. Die Zeit war bleiern und erfüllt von Erwartungen der Gefährdung der Natur und des Menschen gleichermaßen. Gedichte wie Raumschiff Erde von Hans Scheibner trafen den Zeitgeist. Es war eine Art Anti-Hommage an den Homo faber, der alles technisch optimieren wollte und dabei die natürlichen Lebensgrundlagen vernichtete. Es wurde 1983 in einem Buch mit dem Titel Die ökologische Wende veröffentlicht, zu dem der damalige Schatzmeister der CDU Walther Leisler Kiep das Nachwort schrieb – jener Mann, der später über die Parteispendenaffäre stolpern sollte.
    Im selben Jahr demonstrierten wie schon 1981 mehrere Hunderttausend Menschen gegen die atomare Wiederbewaffnung im Bonner Hofgarten. Eine Konsequenz des Nato-Doppelbeschlusses war, dass die USA für den Fall, dass sich die Sowjetunion für Abrüstungsverhandlungen nicht gesprächsbereit zeigen würde, Pershing-Raketen auf deutschem Boden stationieren würden. Die neue Regierung unter Helmut Kohl stimmte dieser Stationierung Ende 1983 zu. „Besuchen Sie Europa (solange es noch steht)“, textete die Neue-Deutsche-Welle-Band Geier Sturzflug im selbenJahr: „Vor dem alten Kölner Dom steigt ein Atompilz in die Luft,/ und der Himmel ist erfüllt von Neutronenwaffelduft.“
    In der deutschen Atom-Debatte gingen die Erfahrung von Kaltem Krieg und atomarer Blockkonfrontation und der Widerstand gegen die Kernkraftnutzung somit eine spezifische Allianz ein. Die Angst vor der Kernkraft, die sich vor allem lokal einstellte, war immer auch unterfüttert von der Angst vor einem Krieg, die weite Teile der Bevölkerung erfasste. „Aufstehen für den Frieden. Keine neuen Atomraketen in Europa“, wie es auf einem Protestplakat stand: Die Wahrnehmung der Gegenwart war getrübt, die der Zukunft weltpolitisch höchst ungewiss.
    Und dies war „nur“ das Thema Kernkraft: 1981 hatte Monika Marons Roman Flugasche die Umweltsünden im Osten Deutschlands thematisiert. Er erschien aus gutem Grund im Westen. Als eine mittlerweile von der Geschichte des Aufstiegs und
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