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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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Niedergangs von Wirtschaftszweigen eingeholte Antwort schrieb Maron fast dreißig Jahre später Bitterfelder Bogen , die ostdeutsche Erfolgsgeschichte der Photovoltaikindustrie am Beispiel des Weltmarktführers Q-Cells (der 2012 dann insolvent gehen sollte). Hier wie auch sonst in der deutschen Geschichte standen die Metaphern der Natur uneingeschränkt für das Gute, wurden „blühende Landschaften“ nach 1989 bewusst als Gegenbild zur zerfallenden Industriekultur platziert.
    1983, inmitten der zeitgleich laufenden Waldsterbensdebatte, um die es an späterer Stelle noch gehen wird, war das Jahr, in dem Lieder wie Karl der Käfer der Band Gänsehaut in den deutschen Singlecharts landeten. Sie machten die Naturschutzproblematik zum Gegenstand der Alltagskultur. Der Naturschutz war endgültig zum Common Sense geworden, auf den die Musikindustrie erfolgreich aufsetzen konnte:
    „Tief im Wald, zwischen Moos und Farn,
    da lebte ein Käfer mit Namen Karl.
    Sein Leben wurde jäh gestört,
    als er ein dumpfes Grollen hört.
    Lärmende Maschinen überrollen den Wald,
    übertönen den Gesang der Vögel schon bald.
    Mit scharfer Axt fällt man Baum um Baum,
    zerstört damit seinen Lebensraum.
    Karl der Käfer wurde nicht gefragt,
    man hatte ihn einfach fortgejagt.
    Eine Wand aus Asphalt breitet sich aus,
    fordert die Natur zum Rückzug auf.
    Eine Blume die noch am Wegesrand steht,
    wird einfach zugeteert.
    Karl, ist schon längst nicht mehr hier,
    ein Platz für Tiere, gibt’s da nicht mehr.
    Dort wo Karl einmal zu Hause war,
    fahr’n jetzt Käfer aus Blech und Stahl.“
    Es ist ein Szenario, das bereits das 1972 erschienene Kinderbuch Der Maulwurf Grabowski vorweggenommen hatte: Der Friede des Maulwurfs wird gestört, als Planer kommen, um moderne Hochhäuser auf der Wiese zu errichten. Und ähnliche Beispiele gäbe es viele: Spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Teilung war das Paradigma des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit zur stärksten gemeinschaftlichen Norm in einem Land geworden, das vorher allein aufgrund der Teilung stärker als jedes andere dazu verdammt war, zum Schauplatz aufeinander treffender politischer Weltentwürfe zu werden, und das Angst vor echten, nationalen Mythen hatte.
    Die Voraussetzungen für den Siegeszug grüner Gedanken auch als neues Element der Demokratie waren in Deutschland historisch betrachtet somit nicht ungünstig. Denn der Einsatz für die Umwelt war immer verbunden mit dem Einsatz gegen Militarismus und Säbelrasseln der Supermächte. Er wurde stillschweigend zu einer Art Demokratisierungsformel. Genau das machte die deutsche Umweltbewegung rückblickend so erfolgreich: Sie nahmdie Energie des Jahres 1968, verband sie mit bürgerlichen Attributen und glaubhaften Problemen der Industrialisierung und Aufrüstung vor Ort. Die Gegenwart der Geschichte und das Unbehagen an Ideologien waren dazu angetan, dass grüne Gedanken zu einer Art Konsensformel wurden, zu der sich viele Menschen bekennen konnten.
Schwerter zu Pflugscharen: Natur und Technik in der DDR
    Ich bin in den achtziger Jahren zur Schule gegangen. Bürgerproteste, die sich um Umweltthemen oder die atomare Wiederbewaffnung drehten, nahm ich keine wahr. Ihnen hätte der Geruch des offenen Widerstands gegen die Staatsräson angehaftet. Auch in unserer evangelischen Gemeinde, in der bisweilen Gäste aus Westdeutschland auftauchten, waren Friedens- und Freiheitsthemen damals bedeutender als die Sorge um die Umwelt. Zumindest empfand ich es so. „Schwerter zu Pflugscharen“: Dieses Bibelzitat ist mir stärker in Erinnerung geblieben als Hinweise auf die dahinsiechende Umwelt in den Industrieregionen im Osten.
    In der Schule und im öffentlichen Leben galten Wissenschaft und Technik als Säulenheilige. Der historische Materialismus hatte eine Verbindung aus wissenschaftlich-technischem Fortschritt und gesellschaftlicher Weiterentwicklung vorgezeichnet. Eine grundlegende Revision des Technik- und Gesellschaftsbildes, wie sie im Westen erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg und dann in der Folge von 1968 sowie unter dem Einfluss der französischen Avantgarde stattfand, gab es in der DDR nicht. Ganz im Gegenteil. Das, was Friedrich Engels in seiner Dialektik der Natur geschrieben hatte, blieb maßgeblich für den Umgang mit Natur und Wissenschaft. Die Menschheitsgeschichte hatte danach Naturgeschichte und wissenschaftliche Paradigmenwechsel zur Voraussetzung. So lag den Wissenschaften derselbe Gedanke
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