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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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mildernden, ansonsten nicht beherrschbaren Seiten der Natur umzugehen, wie sie der Krebs darstellt, an dem jährlich 200000 Menschen in Deutschland sterben. In der Natur wird eben nicht alles gut, wenn wir das vermeintlich Gute tun, ein bisschen auf gesunde Ernährung und Fitness achten. Dies ist Hybris – und sie ist nicht weniger schlimm als die Hybris, die Natur einzig als Steinbruch unserer Bedürfnisse ansehen zu wollen.
    Der Mensch, so sei an die Worte Martin Seels erinnert, ist nicht der Garant der Natur, und mithin in letzter Konsequenz nicht einmal seiner eigenen. Sie läuft nicht deterministisch ab, wie es das 19. Jahrhundert in Gestalt einer Kunstfigur, des Laplace’schen Dämons, noch glauben machte. 139 Wir sollten uns davor hüten, denselben Anmaßungen aufzusitzen.
    Fangen wir darum auch gedanklich im Konkreten an, wenn wir über Natur sprechen, anstatt nach dem Klima oder abstrakten Begriffen wie Nachhaltigkeit als Stützen zu greifen. Setzen wir uns mit dieser Ambivalenz unseres Denkens und Handelns auseinander. Fragen wir nach den tieferen Gründen für den Wunsch nach einer Natur, die unveränderlich ist und sich nicht ändern sollwie die technische Welt. Denn so viel scheint sicher: Zukunftsvertrauen entsteht nicht durch das „Anrufen“ von Natur, auch nicht durch Exit-Strategien, sondern allein durch Zutrauen in die Richtigkeit einer Gestaltung der Welt nach den uns jeweils zu eigenen Maßstäben. Und dies werden immer auch ökologische sein.
    Machen wir es uns mit anderen Worten nicht so schwer mit uns selbst, sondern respektieren den Lauf der Dinge als Konsequenz der aktuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten. Am Ende spricht genau dies sogar für neues Wachstum, vielleicht nicht so sehr im alten Sinne, rein dem Volumen nach, sondern für Innovationen, Veränderungen, die immer dann entstehen, wenn der Anpassungsdruck steigt.
    Die Deutschen lieben die Natur und stehen darin noch immer mit einem Bein im gefährlichen Pathos der Romantik. Vielleicht sollten sie sich von Zeit zu Zeit einen der berühmtesten Verse dieser Epoche auf den Einkaufszettel schreiben, bevor sie voller Sorge über Gegenwart und Zukunft in den Markt um die Ecke fahren oder ins Gartencenter: „Wo aber Gefahr ist, wächst/Das Rettende auch.“
    Dafür, dass es die Technik ist, die zur Überwindung eines auch durch Technik initiierten Vertrauensverlusts in die Welt beitragen kann, gibt es Beispiele zuhauf. Die Natur wird uns am Ende nicht retten. Sie wird uns an die Lebenszeit erinnern, in der wir uns einbildeten, von ihr getrennt zu sein und zu ihr zurück zu müssen.

Epilog: Am Wasser
    Ein Montag im Mai 2011, die Sonne hat schon Kraft, und doch treibt das Meer einen kalten Wind in Richtung Küste. Die Granitsteine links und rechts des Weges reflektieren das Licht, das sich tausendfach in den Wellen bricht. Am Horizont sind Schiffe zu sehen, die in Richtung Dänemark fahren. Dann eine Fähre und Segler mit voll gespannten Tüchern linkerhand. In Richtung Warnemünde.
    Ich sehe den Anglern zu, die ihre Ruten gegen die Brandung werfen. Es ist Heringssaison und damit Zeit für die Jagd auf Hornhechte, jene silbernen Räuber mit Schnabelmaul, die nur wenige Wochen im Frühjahr an die Küste kommen und deren Gräten beim Kochen grün werden. Die Posen torkeln in der Brandung. Ich fixiere eine von ihnen und hoffe, dass ein Fisch kommen und den roten Punkt hinunterziehen wird. Ich wünsche es mir wie ein Kind.
    Der Mann in Latzhosen springt auf, schlägt an und landet einen Fisch, der Sekunden später vor meinen Füßen auf den Boden fällt. Er wirft ihn in den Eimer, ohne ihn zu betäuben. Erneut nimmt er ein Stück Heringsfetzen und drückt es an den Haken. Einer der umstehenden Angler nickt achtungsvoll, aber niemand spricht ein Wort. Nur das Horn der Fähre und die Schreie der angelockten Möwen sind zu hören. Und das hohle Schlagen der Wellen zwischen den Steinen, das klingt wie in einer Lagune.
    Weiter draußen verfolgen Möwen einen heimkehrenden Fischkutter. So wie ein Bienenschwarm einen Bären verfolgt, der eine Honigwabe gestohlen hat. Während ich sie betrachte, schneidet ein Zug Graugänse in schnellem Flug das Bild. Und dann sehe ich einen ersten Zitronenfalter, während im Hintergrund der Wasserdampf aus dem Kühlturm des Steinkohlekraftwerks aufsteigt. Nie, auch vor einhundert Jahren, als es diese Dinge noch nicht gab, wird die Natur hier selbstverständlicher mit dem Menschen harmoniert haben. Dieser
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