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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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bringen, was man über weite Strecken der Geschichte über die deutsche Landschaft empfand. Eine Landschaft, wie schon Joachim Ritter in seiner einflussreichen Beschreibung (1963) zeigen konnte, die ein Produkt des Geistes, der Theorie und Ästhetik war, und eben nicht der Natur „an sich“. 18
Der grüne Gott
    Es gehört zu den historischen Besonderheiten des deutschen Verhältnisses zur Natur, dass es eine besondere Ernsthaftigkeit und Disziplin aufweist. Nirgendwo sonst haben sich seit dem 19. Jahrhundert mehr Menschen in Alpen- und Wandervereinen zusammengeschlossen, um die Natur zu erleben, trafen Formeln vom asketischen Leben im Einklang mit der Natur auf so fruchtbaren Boden, während zeitgleich die Industrialisierung mit hoher Schlagzahl voranschritt. Spätestens seit Thea Dorns und Richard Wagners 2011 erschienenem Band Die deutsche Seele kennen viele Deutsche das Foto, auf dem der Schriftsteller Hermann Hesse nackt an einem Felsen steht, wahrscheinlich in seiner schwäbischen Heimat. Ein Bild mit Symbolwert.
    Die Naturverehrung in Deutschland stand, wie „Der Wandervogel“ und die Jugendbewegung als populäre Beispiele zeigen, im Zusammenhang mit einer neuen bürgerlich-protestantischen Auffassung von naturnaher Erziehung und Körperkultur – und sie paarte sich mit einer fast pietistischen Strenge und Klarheit. Weniger der antike Zusammenhang von Gehen und Denken, sondern das Ethos der einfachen Arbeit und Mühsal, die am Ende Erfüllung verspricht, war in Deutschland besonders besetzt.Von Johann Gottfried Seumes Spaziergang nach Syracus im Jahre 1802 bis zu Wolfgang Büschers marathongleichen Fußwanderungen Berlin   – Moskau (2003) oder Hartland (2011) haben die Deutschen Märsche als Basis von Reflexion und Innerlichkeit geliebt, während dieAmerikaner – in ganz unterschiedlichen Büchern wie Unterwegs von Jack Kerouac, John Steinbecks Die Reise mit Charley oder in den Romanen Richard Fords – immer gern bequem auf vier Rädern unterwegs waren und von dort aus auf die Landschaft schauten: im Bus, im Auto, im Truck, auf dem Traktor, im Pferdewagen. 19
    Das Bewusstsein für das Erfahren der Natur war jenseits des Atlantiks also von Beginn an ein anderes, und das zwangsläufig auch wegen der großen Entfernungen. „Natur“ war das mit dem Auge abzusteckende und dann zu nutzende Stück Land, das man bis an seine Grenzen treiben durfte. Und wenn der Treck der Siedler in den endlosen Landschaften weiterzog, vergaß er auch den Boden, den er zuvor in Besitz genommen hatte. Die Verfügbarkeit der natürlichen Ressourcen war die Basis eines verschwenderischen Umgangs mit ihnen – und sie ist es heute noch. Die in Amerika verbreitete Vorstellung eines Exodus – das auserwählte, auf sich gestellte Volk zu sein, das die Natur urbar macht – erklärt manche Besonderheit im Umgang mit ihren Widrigkeiten, gegen die sich der Mensch am Ende doch als siegreich erwies.
    Von Anfang an transportierte die Naturbegeisterung hierzulande auch andere Botschaften. Indem der Mensch Natur erfuhr, sollte er zum Besseren erzogen werden. Naturerleben und Naturschutz waren nie allein Müßiggang, der im Verborgenen stattfand, sondern öffentliche Schulen der Sinne wie der Sitten, die zum Mitmachen anregten. Die Lebensreformbewegung nahm nicht zufällig in Preußen ihren Ausgang, und sie lebte fort bis zu Sportfesten und Volks- und Kindersportbewegungen in der DDR vom Schlage Mach’s mit, Mach’s nach, Mach’s besser – und bis zur Freikörperkultur. Den größten FKK-Chor der Welt, der im Hochsommer Weihnachtslieder sang, filmte man weder in Miami noch an der Schwarzmeerküste, sondern für die Sendung Außenseiter Spitzenreiter des DDR-Fernsehens: auf dem Darß.
    Natur: Dies war immer auch die eigene Natur, das Gefühl von Körperlichkeit, physischer Selbsterfahrung und Selbsterziehung. Bis in die Gegenwart hat sich die Faszination am Erwandern undErklettern als eine sportliche, bisweilen soldatische Form des Naturzugangs über alle historischen und weltanschaulichen Zäsuren hinweg erhalten können, und das im ganz wörtlichen Sinne: Tausende Mitglieder des „Wandervogel“ zogen 1914 als „Feldwandervogel“ in den Ersten Weltkrieg und sangen im Marsch Heimat- und Naturlieder wie dieses:
    „Nun geht’s ans Abschiednehmen
    wir ziehn hinaus ins Feld.
    Wir wollen flott marschieren
    die Waffen mutig führen:
    Gloria, Gloria, Gloria Viktoria!
    Mit Herz und Hand fürs Vaterland, fürs Vaterland! –
    Die Vöglein
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