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Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)

Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)

Titel: Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
Autoren: Evelyn Sanders
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Kapitel 1
    D u ignoranter Trottel!« brüllte Florian wütend, als die giftgrüne Ente um die Ecke bog, in beängstigender Schräglage die Tanne streifte und schließlich nach einer meterlangen Schleifspur zum Stehen kam. »Was glaubst du wohl, weshalb ich vorhin den Kies geharkt habe? Du rührst doch keinen Finger! Ich weiß sowieso nicht, weshalb immer ich der Dumme …«
    Die Wagentür öffnete sich, zwei lange Beine erschienen, gefolgt von einem nicht minder langen Oberkörper, und endlich war auch der Kopf zu sehen, der überwiegend aus dunkelbraunen Locken bestand.
    »Ach, du bist es bloß«, sagte Florian gedehnt, als er seinen Schwager erkannte.
    »Wen hast du denn erwartet? Joan Collins?« Karsten schlug die Wagentür zu, woraufhin das Klappfenster herunterfiel und schaukelnd an einer Ecke hängenblieb. »Einfache Klebestreifen halten nicht, da muß man Leukoplast nehmen«, bemerkte er und drückte die Scheibe in die Ausgangsposition zurück. »Beim nächstenmal kippt sie wieder runter. Kannst du deinem Sohn nicht mal ein richtiges Auto kaufen?«
    »Das war ein richtiges Auto, bevor es Tobias in die Hände bekam«, knurrte Florian erbittert.
    »Das ist nie ein richtiges Auto gewesen«, behauptete Karsten, »ich würde es als blechumhüllten Hohlraum auf vier Rädern bezeichnen.«
    »Und weshalb steigst du dann da rein?«
    »Weil ich meinen Wagen zur Inspektion gegeben habe, weil sich Tobias gerade bei Mutti den Wanst vollschlägt und dann sowieso ein paar Stunden lang nicht mehr in die Karre paßt, und weil ich dich sprechen muß.«
    »Schon mal was von Telefon gehört?« Florian drehte seinem Schwager den Rücken zu und demonstrierte Arbeitseifer, indem er den Spaten in den Boden rammte. »Ich bin beschäftigt. Außerdem bin ich selber pleite, der Whisky ist alle, und deinen wandelnden Flokati nehmen wir nicht mehr in Pflege. Die Katzenhaare hat Tinchen noch immer nicht vom Sessel runtergekriegt.« Nach Florians Erfahrung waren damit alle Vorhaben, die Karsten hergetrieben haben könnten, zur Sprache gebracht und vorsichtshalber gleich abgelehnt worden. »Sonst noch was? Tinchen ist übrigens nicht da.«
    »Weiß ich. Die sitzt auch bei Mutti und bemalt in Schönschrift Etiketten für Marmeladengläser.«
    »O Gott«, stöhnte Florian, »ist es schon wieder soweit? Wir haben doch noch das ganze Eingemachte vom vergangenen Jahr im Keller stehen. Kann sie das Zeug nicht mal dem Roten Kreuz oder einem Altersheim spenden? Dreiunddreißig Gläser Mirabellenmarmelade! Wer soll das denn essen?«
    »Nun laß sie doch! Dieser Eichhörnchenkomplex muß noch ein Überbleibsel vom letzten Krieg sein, als es nichts zu kaufen gab und nur Gartenbesitzer eine gewisse Überlebenschance hatten. Das kriegst du aus alten Leuten nicht mehr raus.«
    »Laß das bloß nicht Toni hören! Mit noch nicht mal siebzig ist man lediglich im reiferen Alter. Behauptet sie !«
    »Ich weiß. Es ist immer das gleiche mit den späten Jahrgängen: Lange leben wollen sie alle, aber alt werden will keiner.«
    »Wem sagst du das?« brummte Florian, der im kommenden Februar fünfzig werden würde und mit Entsetzen an die unumgänglichen Feierlichkeiten dachte. In der Redaktion würde er ein Riesenbesäufnis finanzieren müssen als Entgelt für irgendeine Scheußlichkeit, die ihm die Kollegen aus dem Erlös der vorangegangenen Kollekte überreichen würden, und was sich zu Hause abspielen würde, war noch gar nicht abzusehen. Tinchen würde schon dafür sorgen, daß niemand aus der Verwandtschaft seinen Ehrentag vergaß. Er traute ihr sogar zu, eigenhändig Tante Gertrud aus dem Schwarzwald heranzukarren, wo sie in einem teuren Seniorenheim einen friedlichen Lebensabend genoß, allem Irdischen weitgehend entrückt. Um es ganz klar auszudrücken: Sie war hochgradig senil und erkannte niemanden mehr, der ihr einmal nahegestanden hatte. Nach dem letzten Besuch in Freudenstadt hatte sogar Tinchen kapituliert. »Heute hat sie mich für Auguste Viktoria von Preußen gehalten. Gibt’s die überhaupt?«
    »Die gab’s mal, als Tante Gertrud noch jung gewesen ist«, hatte Florian geantwortet, »aber Ähnlichkeit mit ihr hast du wirklich nicht.«
    »Das will ich auch hoffen«, hatte sich Tinchen entrüstet. »Damals trug man doch noch Korsetts und Knöpfstiefel.«
    »Und keine mahagonibraun getönten Haare«, hatte Florian lachend ergänzt, »da stand man zu seinen grauen Strähnen.«
    »Muß eine gräßliche Zeit gewesen sein«, hatte Tinchen erwidert.
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