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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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im Walde
    die singen ja so wunderschön,
    in der Heimat, in der Heimat
    da gibt’s ein Wiedersehn.“  20
    Der Wunsch nach Kollektivität, die Suche nach dem Gemeinschaftserlebnis, prägten das deutsche Naturgefühl in dieser Epoche stärker als je zuvor. Kleingärten- und Gesangsvereine wurden zum zivilen Gegenstück der oben beschriebenen Frontromantik. Auch in ihnen lebte jedoch ein landsmannschaftliches, nationales Element auf, das „Natur“ und „Heimat“ synonym setzte. So auch in Der Jäger Abschied , das zum Kanon der frühen Burschenschaften und der national gesinnten Turnerschaft wurde. „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben“, heißt es in diesem berühmten, von Felix Mendelssohn-Bartholdy vertonten Text Joseph von Eichendorffs, das in keinem Kommers- und Liederbuch in der Mitte des 19. Jahrhunderts fehlte: „Deutsch Panier, das rauschend wallt.“ Eichendorff selbst gehörte übrigens dem Lützowschen Freikorps an, das gegen Napoleon kämpfte. Aus den Uniformfarben der Lützower sollten die deutschen Nationalfarben Schwarz, Rot, Gold werden.
    Elias Canetti hat später in Masse und Macht (1960) Parallelen in der Wahrnehmung von soldatischen Formationen und den gleichmäßig aneinandergereihten Stämmen im Wald aufgezeigt. „Das Massensymbol der Deutschen war das Heer “, spottete er. „Aber das Heer war mehr als das Heer: Es war der marschierende Wald . In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich eins mit den Bäumen.“ 21
    Vom Plateau des nationalen Hochgefühls ist es in Deutschland ein langer Weg zum Grünen Gott gewesen, den der Lyriker Wilhelm Lehmann im Zeichen der inneren Emigration 1942 für einen Gedichtband erfand. Lehmann gehörte wie Oskar Loerke und einige jüngere Dichter zu den Verfassern emblematischer Naturdichtung. Sie richteten den Blick weg von der Geschichte hin zu Pflanzen, Tieren und Gesteinen und belebten den alten Gedanken einer „Lesbarkeit der Welt“ in Gestalt eines „Buchs der Natur“ neu. Dahinter steckte der Wunsch, dem Zerfall der Welt durch das Entziffern der natürlichen Zeichen zu begegnen. Denn das Fazit war schon damals eindeutig – und man ist geneigt, all denen eine Beschäftigung mit deutschen Naturgedichten des letzten Jahrhunderts anzuraten, die heute von „Ganzheitlichkeit“ und „Einklang mit der Natur“ reden: Die Kommunikation zwischen Mensch und Umwelt, beispielhaft in Wilhelm Lehmanns Gedicht Die Signatur , war längst zerstört.
    „Damastner Glanz des Schnees.
    Darauf liest sich die Spur
    Des Hasen, Finken, Rehs,
    Der Wesen Signatur.
    In ihre Art geschickt,
    Lebt alle Kreatur.
    Bin ich nur ihr entrückt
    Und ohne Signatur?“  22
    Dieser Blick auf die Natur, der nichts mit der geistigen Agrarisierung der NS-Zeit zu tun hat, war ein seltenes Mittel der Sprache, sich dem Diktat von Geschichte und Fortschrittsglauben zu entziehen: Er setzte den Menschen in einen direkten Bezug zur Umwelt und zeigte dessen moderne Vereinzelung oder – mit den Worten des Philosophen Georg Lukács – transzendente Obdachlosigkeit an.
    Auch nach 1945 interpretierten Autoren wie Peter Huchel und andere Vertreter der sogenannten „naturmagischen Schule“ das Natürliche als einen überzeitlichen Komplex – freilich mit den Mitteln der Kunst und nicht im naiven Glauben, eine reale Gegenwelt zur Zivilisation beschwören zu können. Gegen einen christlichen Schöpfungsgedanken, der den Verlauf der Geschichte vorwegzunehmen schien, setzten sie die Vorstellung einer weiblichen, zyklischen Natur – einer „urfrühen Mutter, die alles gebar“, wie es in einem Gedicht Huchels heißt; ich werde darauf später noch einmal zurückkommen. Abgelegene Gehöfte und Botschaften des Regens lauteten die ersten beiden Nachkriegsbände des Lyrikers Günter Eich – Titel, die kaum treffender die Innerlichkeit im Einklang mit der Natur wiedergeben könnten. Auch das ist deutsche Naturgeschichte.
    Das Schreiben über die Natur war somit auch ein Spiegelbild der verloren gegangenen Hoffnung in den Fortschritt. Damit standen diese Dichter, die Gottfried Benn stellvertretend für viele Kritiker als „Bewisperer von Nüssen und Gräsern“ verlachte,
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