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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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vergleichsweise allein: Wer sich nicht über das Mittel der Aufklärung mit den Schrecken der Geschichte konfrontierte, setzte auf die Partizipation am Wohlstand durch die Technik. Der grüne Eskapismus, der sich zumindest als adaptionsfähig für die Blut-und-Boden-Mythologie erwiesen hatte, wurde so nach 1945 einer harten Revision unterzogen. Sie dauerte aber nicht lange an.
Ein deutscher Sonderweg?
    Die Begeisterung für die Natur und der Widerstand gegen die Technik waren keine deutschen Erfindungen, und doch wurden sie hier seit dem 19. Jahrhundert in besonderer Weise ritualisiert. Zweifellos blickt die Ökologie im Ganzen, für die der deutsche Naturforscher Ernst Haeckel als Namenspatron gilt und die mittlerweile als eine weltgeschichtliche Ära historisiert wird, darum nicht nur in Deutschland auf eine Tradition zurück. Aber gerade hier hat sie die Gesellschaft – ihre als führend angesehenen Standards in Industrie, Handel und öffentlichem Leben – so maßgeblich beeinflussen können wie keine andere politische Idee. „Der Franzose flieht in den Salon oder zettelt eine Revolution an“, brachte es ein Landschaftsbuch der neunziger Jahre auf den Punkt, „der Deutsche geht ins Grüne“. 23 Und bereits Canetti hatte sich in einem ähnlichen Bild versucht, als er schrieb: „Der Engländer sah sich gern auf dem Meer ; der Deutsche sah sich gern im Wald ; knapper ist, was sie in ihrem nationalen Gefühl trennte, schwerlich auszudrücken.“ 24
    Das naturwissenschaftlich-technische Denken veränderte den Blick auf die Natur zunächst infolge eines ganz neuen, positiven Blicks auf die Geschichte: Während man in der Romantik das Bild einer besseren Vergangenheit bemüht hatte, blickte man seither programmatisch in eine bessere Zukunft und sprach von „Fortschritt“ – ein Wort, das die aufstrebende Industriegesellschaft wie kein zweites durchziehen sollte. Auf einmal war das Neue das Bessere. Im selben Maße, wie sich der Blick auf die Zukunft fokussierte, wurden die Vergangenheit und auch die Natur historisiert. Und im selben Maße, wie die Säkularisierung voranschritt, verlor der Glaube, dass das Tun des Menschen durch die Verantwortung Gottes prinzipiell entschuldbar sei, seine Wirkung. Dies war die Geburtsstunde des Gedankens, dass der Mensch Schaden in der Natur anrichtete.
    Und heute? Für viele Deutsche ist der Umwelt- und Naturschutz nicht minder als der Stolz auf eine entsprechende Technik im Maschinen- oder Automobilbereich zu einer Identität stiftenden Größe geworden, was eine gewisse Normativität im Habitus erklären mag. Wer nach Fukushima auf Veranstaltungen zur Energiewende ging, konnte nahezu in jedem Vortrag den Gedanken verfolgen, dass „die Welt“ mit höchstem Interesse und voller Bewunderung auf das deutsche Experiment blicke. In einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Unsicherheit zog man die übrigen Staaten als stille Zeugen für den deutschen Weg heran, den man allein eingeschlagen hatte.
    Gerade die Geschichte des Widerstands gegen die Kernkraft, die nach der Ölkrise des Jahres 1973 zunächst mit Protesten im französischen Fessenheim begann und auch andernorts in Europa zu einem massiven Ausbau und entsprechend erbitterten Reaktionen der Bevölkerung führte, dokumentiert die historische Stichhaltigkeit einer deutschen Sonderwegsthese nur zu gut: Wie in Frankreich, wo der Funke der Pariser Mairevolte in die Umweltbewegung mündete, waren die Proteste auch in Deutschland zunächst nämlich nicht mehr als eine Fortsetzung dieser Revolte unter anderen Vorzeichen. Was Länder wie Deutschland und Frankreich im Laufe der Zeit allerdings unterschied, waren die strukturellen Voraussetzungen hinsichtlich der Unterstützung entsprechender Proteste. Der föderative Charakter Deutschlands und die nie erfolgte Verstaatlichung des Energiesektors nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichten effizientere Widerstände gegen den Ausbau der Kernkraft als im zentralistisch geführten Frankreich.
    Die Deutschen waren zunächst also vielleicht nicht die innigeren Naturverehrer oder überzeugteren Kernkraftgegner, sondern profitierten von einem Gemeinwesen, das lokale Einsprüche bis in die Länderparlamente zuließ. So bewahrheitet sich die Vermutung, dass der Widerstand gegen einige wenige symbolbeladene Technologien wie die Kernenergie in Summe hier stärker als in anderen Ländern gewirkt und das Entstehen neuer Parteien wieder Grünen überhaupt erst ermöglicht hat. Ein ökologischer
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