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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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ihre Grütze, die, wenn sie besonders gut war, mit Milch und Zucker bereitet wurde. Heute gehören Milch und Butter, Wurst und Käse sowohl zum Frühstück wie zum Abendessen und Fleisch natürlich zum Mittagessen. Viele Menschen sterben in unserer heutigen Zeit an übermäßigem Essen, aber nicht an Hunger. Doch fragen wir einmal unsere Großeltern, wie es in der guten alten Zeit war?“
    Sind es Begegnungen mit einzelnen Orten und Personen, die unser Bild von Vergangenheit und Zukunft prägen? Oder ist es gerade diese Art von Eindrücken, die uns davon abhält, das Ganze zu überschauen, weil die Fakten emotional überlagert werden?
    Mein Großvater verfasste dieses Manuskript am Beginn der sechziger Jahre. Außer mir dürfte es so gut wie niemand kennen. Ich fand es nach seinem Tod in einer Mappe mit ungeordneten Papieren und Skizzen. Es ist nicht sein bester Text. Aber er drückt die Erfahrung der wachsenden Komplexität und Undurchschaubarkeit der Produktionsketten aus, anhand einer Alltagsszene von vor fünfzig Jahren. Und er zeigt, dass das einfache Sehen, Begreifen und Hinterfragen aus der eigenen Lebenswirklichkeit heraus, das manch einer angesichts einer immer abstrakteren Welt glorifiziert, keine vollständigen Antworten auf die Zusammenhänge hinter den Phänomenen geben kann. In exakt diesem Spannungsfeld bewegen auch wir uns.
    Ich bin Ende dreißig, lebe mit Fußbodenheizung, Tablet-PC und zwei Smartphones, die ich nachts nicht ausschalte, sondern lade. Während es in meinem Kinderzimmer eine Steckdose gab, sind es heute sechs in jedem Raum. Die Waschmaschine läuft täglich, manchmal auch der Trockner. Ich reise viel, mache Inlandsflüge, manchmal nur für einen Tag. Ich sehe Videoclips in derU-Bahn, kaufe Rinderfilet und Bio-Brot, Ziegenkäse aus Norwegen, Lachs aus irgendeiner Aquakultur und Wein aus Italien. Dafür fahre ich in einen sehr kleinen Laden . Support your local Dealer : Diesen Satz schnappte ich mit achtzehn zum ersten Mal auf und zog den Plattenladen dem CD-Regal im Kaufhaus fortan demonstrativ vor. Vieles andere kaufte ich trotzdem dort. Dabei ist es bis heute geblieben.
    Weil wir es bequem finden, bestellen meine Frau und ich immer mehr im Internet. Kinderkleidung oder Bücher. Am übernächsten Tag ist alles bei uns. Wer wollte daran Anstoß nehmen? Wir tun nur, was alle tun. Anders als unsere Großeltern hadern wir dafür stärker mit unserem Glück, denn der Preis unseres Lebensstils wird uns täglich in Erinnerung gerufen: ein hoher Energie- und Wasserverbrauch; weltweite Transportwege in Flugzeugen und Schiffen für mittlerweile jeden zweiten Gegenstand; ein immer schnellerer Verschleiß von technischen Geräten und die kaum messbare Zunahme von Verpackungsmüll; unsichtbares Neodym für neue Windkraftanlagen, die auf dem Meer entstehen; eine Agrarindustrie, die Landschaften am anderen Ende der Welt in gigantische Monokulturen verwandelt; Bilder aus Ställen und Schlachthäusern auch ganz in unserer Nähe, die in ihrer Sterilität und Planmäßigkeit apokalyptisch anmuten.
    Ich lese, dass „Hybridmais“ in heimische Raffinerien wandert, während Deutschland Nahrungs- und Futtermittel aus Südamerika importiert. Und Honig aus China. Und Seltene Erden, die man bei uns für die Elektromobilität braucht. Ein System vieler Räder, das wir westlichen Lebensstil nennen, greift täglich ineinander. Es ist komplex genug, dass ich es nicht durchschaue. Ich kann und will nicht alles prüfen, nicht jede Tütensuppe dechiffrieren, nicht jeden Produktionspfad ergründen, sondern muss anderen vertrauen – auch wenn ich immer öfter lese, dass ein Ausstieg aus diesem Leben, dass die Ersetzung von Komplexität durch Einfachheit, dass Wohlstand ohne Wachstum die einfachste Sache der Welt sei.
    Ist er das wirklich? Und vor allem: Wäre er in der Summe seiner Konsequenzen wünschenswert und brächte uns näher zur Natur und dem guten Leben?
Unser Wald
    Wenngleich wir bemüht sind, den Beweis für die Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch zu führen, um unseren Lebensstandard nicht infrage stellen zu müssen, bleiben handfeste Zweifel angesichts des Mehrverbrauchs, den unser Wohlstand mit sich bringt. 135 Ökonomen sprechen von einem Rebound-Effekt, der dadurch entsteht, dass eine effizientere und erschwinglichere Technologie dazu verführt, sie intensiver zu nutzen, etwa durch mehr Geräte. Wir nehmen sie nicht zum Anlass für ein Weniger im Ganzen, sondern zur Expansion unserer
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