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Das große Buch der Lebenskunst

Titel: Das große Buch der Lebenskunst
Autoren: Anselm Grün
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Einfachheit ist aber vor allem das Ziel der Menschwerdung. Der wahre Mensch ist einfach und lauter, ohne Arglist und ohne
     Nebenabsichten. So ruft Mark Aurel aus: »Wann endlich, liebe Seele, willst du gut, einfältig (haplous), einig mit dir selbst und ohne Hülle durchsichtiger
     erscheinen als der dich umgebende Leib?« Für Mark Aurel ist die Einfachheit eines der höchsten Güter, nach denen er in seinem Leben ringt. Einfach ist der
     Mensch, der ganz und gar mit der Natur übereinstimmt und der frei ist von Leidenschaften. Der einfache Mensch ist einfach da. Er lebt in Übereinstimmung
     mit seinem innersten Wesen und mit Gott. Er ist aufrichtig und arglos, lauter und klar.
Gottesgabe
    F ür Mark Aurel ist Einfachheit ein Kennzeichen eines guten Philosophen und eines guten Herrschers. Beides
     täte uns heute gut. Wer Wesentliches zu sagen hat, kann es auch einfach sagen. Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer hat offensichtlich etwas von der
     Einfachheit des Kaisers Mark Aurel an sich gehabt. Von ihm stammt das Wort: »Man muss die Dinge so tief sehen, dass sie einfach werden.« Über die Dinge
     einfach zu sprechen, ist nicht Zeichen von Oberflächlichkeit, sondern von Tiefe. In der Tiefe sind alle Dinge eins und hängen miteinander zusammen. Wenn
     ich genügend reflektiert habe, wenn ich den Dingen auf den Grund gehe, dann werden sie einfach. Und dann kann ich in einfacher Weise über sie
     reden. Adenauer sieht das einfache Denken und Reden zusammen: »Einfach denken ist eine Gabe Gottes. Einfach denken und einfach reden ist eine doppelte
     Gabe Gottes.« Adenauer hat offensichtlich diese Gabe von Gott empfangen. Daher hat er die Menschen mit seinen einfachen und klaren Worten erreicht. Heute
     spricht man in der Politik oft von den unheilvollen Vereinfachern. Es ist eine Gratwanderung zwischen dem einfachen Denken und Reden und einem zu
     leichtfertigen Vereinfachen. Das deutsche Wort »vereinfachen« hat in sich diese Doppelbedeutung. Das Leben vereinfachen ist eine Tugend. Das Denken
     vereinfachen ist für Adenauer eine Gabe Gottes. Doch wenn ich die Dinge vereinfache und sie zu sehr für meine Sicht vereinnahme, dann wird es
     gefährlich. Dann wird meine vereinfachende Sprache die Menschen manipulieren oder gar verdummen.
Auf das Eine gerichtet
    I m Alten Testament entspricht das Wort »tham« unserer Einfachheit. Allerdings hat es noch viele andere
     Bedeutungen. Und auch die Septuaginta übersetzt es verschieden, einmal mit »einfach«, dann mit »vollkommen, lauter, wahrhaftig, heilig, untadelig«. Gott
     selbst spricht zu Salomon: »Wenn du mit ungeteiltem und aufrichtigem Herzen vor mir den Weg gehst, den dein Vater David gegangen ist, und wenn du alles
     tust, was ich dir befohlen habe, wenn du auf meine Gebote und Rechtsvorschriften achtest, dann werde ich deinen Königsthron auf ewig in Israel bestehen
     lassen.« (1 Kön 9,5) Einfachheit meint hier die völlige Hingabe des Menschen an Gott. Ich bin König in seinem Dienst. Es geht mir nicht um meinen Ruhm und
     meine Macht, sondern einfach darum, für die Menschen da zu sein und das Beste für sie zu wollen. Wer mit einfachem Herzen für die Menschen da ist, der ist
     ein Segen für sie. Auf ihn kann man sich verlassen. Man spürt, dass er es gut mit einem meint. Er ist frei von allem egoistischen Kreisen um sich
     selbst. Er ist ganz und gar von Gottes Geist durchdrungen. Er ist allein auf das Eine gerichtet: gut zu sein und Gutes zu tun und für die Menschen das
     Beste zu wollen.
Wenn dein Auge einfach ist
    I n der Bergpredigt spricht Jesus vom einfachen und klaren Auge: »Wenn dein Auge einfach (haplous) ist,
     dann wird dein ganzer Körper hell sein. Wenn aber dein Auge böse (poneros) ist, dann wird dein ganzer Körper finster sein.« (Mt 6,22 und Lk 11,34) Manche
     Exegeten übersetzen das »haplous« oft mit »gesund« und das »poneros« mit »krank«. Daran ist sicher etwas Richtiges. Das einfache Auge ist gesund. Es sieht
     die Dinge so, wie sie sind. Es projiziert nicht die eigenen Bedürfnisse oder Emotionen in die Dinge und in die Menschen hinein. Wir sehen es einem
     Menschen an, ob er klar und aufrichtig ist. Wir brauchen ihm nur in die Augen zu sehen. Dann spüren wir, was von ihm ausgeht: Klarheit oder Unklarheit,
     Liebe oder Härte, Verurteilen oder Annehmen, Güte oder Verachtung. Es gibt Menschen, die einen freundlich begrüßen. Aber das Auge bleibt unfreundlich und
     abweisend. Bei solchen Menschen fühlt man
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