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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl
Autoren: James Morrow
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daß Sie
beträchtlich auf dem Holzweg sind«, hielt di Luca ihm
verkniffenen Blicks entgegen. »Würden Sie uns wohl
gütigst einmal erläutern, wie Sie sich zu dieser abwegigen
Schlußfolgerung versteigen konnten?«
    »Durch jesuitische Sophistik«, gab Thomas voller
Selbstironie zur Antwort, »kombiniert mit einer entscheidenden
Information, die ich heute nachmittag vom Erzengel Michael erhalten
habe.«
    »Welcher Information?«
    »Daß Gott gar keine Bestattung wünschte. Die
Erzengel haben die Beisetzung ausschließlich aus eigenem
Antrieb veranlaßt. Sie haben vom Himmel heruntergeguckt, den
Toten gesehen und ihm mit letzter Kraft die Gruft gebaut.«
    »Das sind ziemlich unzureichende Postulate für eine so
hochtrabende Hypothese«, warf di Luca ihm vor.
    Van Horne biß in Hünan-Huhn-Ersatz. »Als Sie mich
von der Regina Maris anfunkten, haben Sie gesagt, Sie
wüßten genau, was wir als nächstes zu tun
hätten.«
    »Unsere Verpflichtung liegt klar auf der Hand – das
heißt, jedenfalls für mich«, sagte Thomas. »Nach
dem Essen müssen wir die Maracaibo wenden und zur
Svalbard-Inselgruppe umkehren. Wir laufen noch einmal in die Gruft
ein, nehmen den Corpus Dei wieder ins Schlepp und gehen damit
auf Welttournee.«
    »Auf was?« entfuhr es di Luca.
    »Welttournee.«
    »Nur über meine Leiche«, verhieß Fowler.
    »Haben Sie den Verstand verloren?« fragte der
Kardinal.
    »Wir besuchen mit ihm jeden großen Hafen des
Westens«, konkretisierte Thomas seinen Vorschlag, indem er vom
Stuhl aufstand. »Sollte die Maracaibo auf Dauer zu wenig
leistungsfähig für diese Fracht sein, ziehen wir unterwegs
andere Tanker zur Hilfe heran. Zweifellos wird uns die Nachricht
vorauseilen. Auf CNN ist Verlaß. Gewiß, klar, anfangs
wird die Öffentlichkeit mit Leugnen, Trauer, Entsetzen
reagieren, allem was wir nach Einweihung der Seeleute schon auf der Valparaíso beobachten konnten, und sicher wird der Corpus Dei auf die Menschen seinen Bann ausüben, ja, so
daß ein massenhaftes Aufflackern ähnlich chaotischer
Verhaltensweisen wie auf der Van-Horne-Insel zu befürchten sein
dürfte, obwohl sie in erster Linie, wie der Kapitän
inzwischen bei anderer Gelegenheit der Eminenz verdeutlicht hat, die
Folge einer längeren, engen Bekanntschaft mit dem Leichnam
waren… Auf alle Fälle, innerhalb kurzer Zeit wird der
kategorische Imperativ die Oberhand gewinnen und danach Euphorie
ausbrechen. Ist das nicht leicht vorhersehbar? Kann man sich nicht
mühelos bildlich vorstellen, wie die Menschenmengen sich
exaltiert durch die Straßen Lissabons, Marseilles’,
Athens, Neapels und New Yorks wälzen, um einen Blick auf den
toten Gott zu erhaschen? Das Menschengeschlecht hat auf diese Stunde
gewartet. Mag sein, niemand hat’s gewußt, aber es ist
wahr. Musikkapellen werden spielen, Fahnen wehen, Buden
Würstchen, Popcorn, Corpus-Dei- T-Shirts, Wimpel,
Gott-ist-tot-Autoaufkleber und alle möglichen kitschigen
Souvenirs verkaufen. ›Wir sind frei!‹ werden alle
jubilieren. ›Ab heute sind wir erwachsene Männer, von heute
an sind wir erwachsene Frauen! Das Universum gehört
uns.‹«
    Beherrscht setzte Thomas sich wieder auf den Stuhl und belegte
stumm einen locker-flockigen Pfannkuchen mit
Pseudo-Mu-shu-Fleisch.
    Fowler prustete.
    Van Horne stieß einen Seufzer aus.
    »Ich muß sagen, Professor«, ergriff di Luca das
Wort, »das ist höchstwahrscheinlich der alleridiotischste
Einfall, der mir in meinem ganzen Leben zu Ohren gekommen
ist.«
    Obgleich Thomas ohnehin keinerlei Respekt vor di Luca hatte,
kränkte ihn die Ablehnung des Kardinals; schmerzte ihn
mindestens ebenso wie damals die Schelte, die man in der Stadt
Gottes über Die Mechanik der Gnade veröffentlicht hatte.
    Ist meine Argumentation mangelhaft? fragte sich Thomas.
    »Ich lege größten Wert darauf, dazu den Standpunkt
aller Anwesenden zu erfahren. Ich habe mir nämlich geschworen,
den Plan nur auszuführen, wenn an diesem Tisch eine Mehrheit ihn
befürwortet.«
    »Meinen Standpunkt können Sie hören«,
erklärte Fowler unverzüglich. »Sollte die Menschheit
als Ganzes je einsehen müssen, daß Gott der
Allmächtige nicht mal noch ’n Pups lassen kann, ist den
Leuten keineswegs nach Jubeln und Aufwärtsstreben zumute. Statt
dessen wird’s so sein, daß sie sich am liebsten in
Löcher verkriechen und sterben würden.«
    »Glänzend gesprochen, Dr. Fowler«, stimmte di Luca
ihr zu.
    »Und darüber hinaus bin ich der Ansicht –
die ich übrigens die ganze Zeit lang
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