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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl
Autoren: James Morrow
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Angelegenheiten, zeigte sich keineswegs
mitteilsam. Phlegmatisch wie der Mond – auch ebenso pockennarbig
im Gesicht und so trocken im Charakter – lud er Thomas Ockham
ins elegante ristorante des Ritz-Reggia ein, und die
Unterhaltung ging nie über die Veröffentlichungen des
Paters hinaus, drehte sich vorwiegend um Die Mechanik der Gnade, seine revolutionäre Versöhnung der nachnewtonschen
Physik mit der Eucharistie. Als Thomas Monsignore di Luca geradewegs
in die Augen blickte und sich nach der »ernsten Krise«
erkundigte, hatte ihm der Kardinal nur geantwortet, die Audienz beim
Heiligen Vater fände morgen um Punkt neun Uhr statt.
    Zwölf Stunden später schlenderte der ausnahmsweise
ratlose Jesuit zum Hotel hinaus, überquerte den Damaskushof und
meldete sich im von Sonnenschein durchdrungenen Vorzimmer des
Papstpalasts bei einem maestro di camera, dessen Kopf ein
Federhut zierte. Di Luca fand sich umgehend ein, sah im Morgenlicht
genauso grau aus wie unter den Kronleuchtern des Hotels Ritz-Reggia;
ihn begleitete, ein rotes Käppchen auf dem Kopf, ein kleiner,
lebhafter Mann: Eugenio Orselli, der bekannte Staatssekretär des
Vatikans. Seite an Seite betraten die Kleriker durch die
Flügeltür das päpstliche Arbeitszimmer. Thomas Ockhams
Schritt stockte flüchtig, kurz bewunderte er die Schweizer
Garden mit ihren glänzenden, stählernen Hellebarden. Rom
hielt es richtig, überlegte er. Der Heilige Stuhl befand sich
wirklich im Kriegszustand, mußte einen ewigen Kampf gegen alle
führen, die dazu neigten, menschliche Wesen auf den Rang
ehrgeiziger Affen zu erniedrigen, lediglich vom Glück
begünstigter Eiweißklumpen, einzigartig schlauer,
komplizierter Apparate.
    Gekleidet in einen Hermelinmantel, behangen mit einem Kruzifix,
schlurfte Papst Innozenz XIV. den Ankömmlingen entgegen, eine
Hand, gehüllt in einen Handschuh, auf dem er Juwelenringe trug,
nach vorn gestreckt, während er mit der anderen Hand die
bienenkorbförmige Tiara stützte, die seinen Kopf
krönte wie eine elektrische Trockenhaube, die die Frisur einer
Vorstadtmatrone in Fasson brachte. Die Vorliebe des Alten zum Pomp
hatte schon ab und zu, wußte Thomas Ockham, Grund zu
Diskussionen geliefert, sowohl inner- wie auch außerhalb der
Mauern des Vatikans, im allgemeinen jedoch beugte man sich der
Auffassung, daß er als erster Nordamerikaner auf dem Stuhl
Petri durchaus ebenfalls das Anrecht auf vollen Wichs
genoß.
    »Wir wollen offen sein«, sagte Innozenz XIV, der mit
bürgerlichem Namen Jean-Jacques LeClerc hieß. Er hatte
eine feiste, runde Miene von allerdings außerordentlicher
Schönheit, wie ein von Donatello geschaffenes Mondgesicht.
»Niemand sieht in Ihnen die beste Wahl für diesen
Auftrag.«
    Ein frankokanadischer Papst, nun ja, sann Thomas vor sich hin, als
er, sobald er sich die Bifokalbrille zurechtgerückt hatte, dem
Menschenfischer den Ring küßte. Davor war der Oberhirte
Portugiese gewesen. Und davor Pole. Allmählich kam die Westliche
Welt dahin, daß praktisch jeder Stellvertreter Christi werden
konnte.
    »Sie sind den Erzengeln zu intellektuell«, erklärte
Monsignore di Luca. »Aber nachdem der Bischof von Prag abgelehnt
hatte, konnten wir sie davon überzeugen, daß Sie für
die Sache der Richtige sind.«
    »Die Erzengel?« wiederholte Thomas, weil es ihn
überraschte, daß ein päpstlicher Sekretär eine
so ausgesprochen mittelalterliche Vorstellung hegte. War di Luca etwa
Bibel-Fundamentalist? Ein Dummkopf? Wie viele Kamele gelangten
eigentlich durchs Nadelöhr in den Vatikan?
    »Rafael, Michael, Gabriel, Chamuel, Adabiel, Haniel und
Zafiel«, zählte der schöne Papst sie allesamt auf.
    »Oder hat die Fordham University diese höheren
Wesenheiten verworfen?« Ein Ausdruck der Gehässigkeit
huschte über de Lucas Gesicht.
    »Wir alle, die wir die Unterwelt der Atomkerne
erforschen«, gab Thomas zur Antwort, »merken bald,
daß Engel nicht weniger plausibel als Elektronen sind.«
Eine Regung des Bedauerns durchzitterte den Priester. Noch keine zwei
Tage weilte er in Rom, und schon redete er daher, was man von ihm zu
hören wünschte.
    Der Heilige Vater lächelte breit, so daß sich in seinen
dicken Backen Grübchen bildeten. »Sehr gut, Professor
Ockham. Es sind tatsächlich Ihre wissenschaftlichen
Spekulationen, die uns dazu bewegen haben, Sie herzubestellen. Wir
haben nicht nur Die Mechanik der Gnade gelesen, sondern auch Superstrings und Erlösung.«
    »Sie verfügen über einen starken Geist«, lobte
Kardinal
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