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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein
Autoren: Jonathan Cott
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»W OW!«, SOLL IGOR STRAWINSKY ausgerufen haben, nachdem er wie elektrisiert der eindrucksvollen Aufnahme seines Sacre du Printemps, des Frühlingsopfers, von Leonard Bernstein gelauscht hatte. Die Aufführung war während einer einzigen beseelten und vor Energie vibrierenden Aufnahmesession am 20. Januar 1958 von Columbia Records eingespielt worden und ist bis heute unübertroffen.
    Im Jahr 1791 hatte der italienische Arzt Luigi Galvani in Bologna die elektrische Grundlage von Nervenimpulsen demonstriert: Die Schenkel eines toten Frosches zuckten, als sie mit den Funken eines elektrostatischen Generators in Berührung kamen. Heute mag uns Strawinskys Sacre wie ein musikalisches Äquivalent von Galvanis Maschine vorkommen. Dieser Hochspannungs-Tonstimulator – ein Werk, das Leonard Bernstein als »stilbildendes vulkanisches Meisterwerk« charakterisierte, als »eine wunderbare neue Schöpfung von solcher Originalität und Kraft, dass sie uns heute noch schockiert und überwältigt« – provozierte bei seiner Uraufführung im Mai 1913 in Paris tatsächlich einen Proteststurm. Das betuchte Premierenpublikum pfiff, zischte und buhte ohne Unterlass – eine Reaktion, die durchaus der herrschenden Mode entsprach. Man schämte sich nicht seiner Voreingenommenheit. Die rein verbalen Meinungsäußerungen gingen rasch in Raufereien über, bei denen sich die Leute mit Fäusten und Spazierstöcken attackierten und wie Hunde bellten, was schließlich zu einem halbherzigen Einsatz der Pariser Polizei führte. Der Harvard-Professor Thomas Kelly kommentierte das Ganze trocken: »Die Heiden auf der Bühne ließen auch die Zuhörer zu Heiden werden.«
    Igor Strawinsky sprach einmal von dem »furiosen russischen Frühling«, an den er sich aus seiner Kindheit noch lebhaft erinnerte. Er scheine von einer Stunde zur anderen anzufangen und wirke dann, »als würde die ganze Erde bersten«. In einem Fernsehvortrag mit dem Titel »Hommage an Strawinsky«, den Bernstein 1972 anlässlich eines Konzerts des London Symphony Orchestra hielt, bemerkte er, dass der Komponist »im Frühling geboren wurde und im Frühling starb. Gewissermaßen lebte er sein ganzes Leben in einem Frühling der Kreativität. Seine Musik ist frühlingshaft, voller knospender Blüten, verwurzelt in der vertrauten Vergangenheit, doch auch frisch und scharf und gekennzeichnet von einer brennenden, paradoxen Kombination des Unvermeidlichen mit dem Unerwarteten.« Und in seiner strahlenden Aufführung von Strawinskys heidnischem Frühlingsritus kostet Bernstein mit den wie elektrisiert spielenden New Yorker Philharmonikern die jagenden Rhythmen, haarsträubenden Dissonanzen, fragmentierten Rhythmen, disharmonischen Akzente und abrupten Stimmungswechsel dieses revolutionären Werkes jubelnd aus, um seinen Zuhörern den Anbruch jenes überwältigenden russischen Frühlings zu vermitteln.
    Leonard Bernstein wurde am 25. August 1918 in Lawrence, Massachusetts, als Sohn ukrainischer Juden geboren; sein Vater Sam war Geschäftsführer eines florierenden Schönheitssalons in Boston. Die musikalische Begabung des Jungen wurde früh erkannt. Er besuchte die Boston Latin School, die Harvard University, das Curtis Institute of Music und die Tanglewood Summer School. Nach dem Ende seiner Studienzeit zog er im Herbst 1942 nach New York, wo er für acht Dollar in der Woche in einer Einzimmerwohnung im Souterrain wohnte und sich mit Gelegenheitsarbeiten als Notenschreiber und Pianist in der Tanzschule der Carnegie Hall über Wasser hielt. Die Choreografin Agnes de Mille erinnert sich daran, dass Bernstein zuweilen, wenn er sich beim Spielen der gleichbleibenden Takte der Tanzklasse langweilte, in einen Fünfachtel- oder Siebenachtelrhythmus fiel – und am Ende wurde er für diese Eigenwilligkeit gefeuert.
    Der Komponist Aaron Copland, Bernsteins langjähriger Freund und Mentor, den er in seinem ersten Jahr in Harvard kennengelernt hatte, schrieb ihm aufmunternde Briefe. »Erwarte bloß keine Wunder«, riet er dem jungen Mann, »und lass den Kopf nicht hängen, wenn einmal eine Weile nichts passiert. So ist eben N. Y.« Am 25. August 1943, seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag, erhielt Bernstein seine erste berufliche Chance: Artur Rodzin´ski, der damalige musikalische Leiter der New Yorker Philharmoniker, machte ihn zu seinem Assistenzdirigenten. »Ich bin im Geiste alle Dirigenten durchgegangen, die ich kenne«, erklärte Rodzin´ski seinem neuen Assistenten, »und schließlich
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