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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein
Autoren: Jonathan Cott
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»über jedes Thema unter der Sonne«, wie er sagte. (Nach seinen Lieblingsautoren wollte ich nicht fragen.)
    »Es dauert noch ein paar Stunden, bis das Essen fertig ist«, teilte er mir mit. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir in mein Musikstudio gingen? Wir können uns eine Einspielung der 1. Sinfonie von Sibelius anhören, die ich vor etwa zwanzig Jahren gemacht habe. Ich soll das Werk in einigen Monaten mit den Wiener Philharmonikern dirigieren, und ich habe mich schon jahrelang nicht mehr mit der alten Aufnahme beschäftigt.«
    Also gingen wir quer über das mit Ginkgo- und Maulbeerbäumen, japanischem Ahorn und Zierkirschen bewachsene Grundstück zu dem nahe gelegenen Musikstudio hinüber, das rot gestrichen war wie eine alte Scheune (in dem Gebäude hatte einst der Stallmeister gewohnt) und an dessen Wänden große Zeichnungen, Gemälde und Fotografien hingen, viele davon signiert. Als er bemerkte, dass ich sie aufmerksam betrachtete, wurde Bernstein zum Dozenten und führte mich einmal durch das ganze Studio, wobei er mir einige der Menschen vorstellte, die er als seine »Helden« bezeichnete: Abraham Lincoln (»Das ist das berühmte Porträt von Mathew Brady von ihm, ohne Bart«); John und Bobby Kennedy (ein Foto von Richard Avedon); die legendäre französische Musikpädagogin Nadia Boulanger (wie sie das Band der Französischen Ehrenlegion an Bernsteins Revers heftet); und der Schriftsteller Boris Pasternak (mit Bernstein in dessen Garderobe, nach einem Konzert 1959 in Moskau, wo Pasternak ihm, laut dem Bernstein-Biografen Humphrey Burton, gesagt hatte: »Sie haben uns in den Himmel geführt, jetzt müssen wir auf die Erde zurück. Ich habe mich der künstlerischen Wahrheit noch nie so nah gefühlt. Wenn ich Sie höre, weiß ich, warum Sie geboren wurden.«).
    Dann zeigte er mir Fotos des Regisseurs Luchino Visconti (der bei der gefeierten Opernproduktion von Verdis Falstaff 1966 in Wien, mit Bernstein am Pult, Regie geführt hatte); des Baritons Dietrich Fischer-Dieskau (der bei der hinreißenden Bernstein’schen Einspielung von Mahlers Lied von der Erde mit den Wiener Philharmonikern gesungen hatte); des Dramatikers Adolph Green (der mit Bernstein zusammen das Libretto der Musicals On the Town und Wonderful Town geschrieben hatte); des Pianisten Glenn Gould, für den er besondere Ehrerbietung und Zuneigung empfand (»Da ist er, mein Mann, mein Baby!«); und das von einem unbekannten Künstler gemalte Porträt Greta Garbos, die die Tarotkarte »Die Liebenden« in Händen hält. (1945 gab es ernsthafte Überlegungen des Produzenten Hal Wallis von Paramount Pictures, eine Filmbiografie über Tschaikowsky zu drehen; Bernstein hätte den Komponisten und Greta Garbo seine Mäzenin, die Baroness von Meck, spielen sollen.)
    Als Nächstes zeigte er mir eindrucksvolle Zeichnungen von Beethoven und Mendelssohn; ein Selbstporträt von Arnold Schönberg; Fotografien weiterer Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts, zum Beispiel Jean Sibelius, Aaron Copland, Marc Blitzstein, Lukas Foss und ein Foto von Igor Strawinskys Grab auf der Friedhofsinsel San Michele in Venedig. (Als ich den Namen von Strawinskys Mitarbeiter Robert Craft erwähnte, rief Bernstein aus: »Robert Craft – ich könnte ihn totschlagen – denn er hat die wunderbare Beziehung zwischen Strawinsky und mir zerstört!«)
    Danach führte er mich zu den Fotos der Dirigenten, die er am meisten bewunderte: Sergei Kussewizki (»Mein großartiger Kussi!«), Bruno Walter, Pierre Monteux, Fritz Reiner (»Mein großer Meister!«), Arturo Toscanini (»Von Toscanini habe ich viele, er hat mir viele signierte Bilder geschenkt«), Carlos Kleiber (»Was für ein Genie, er ist ein Zauberer!«) und, mit leuchtenden Augen, Dmitri Mitropoulos, sein Vorgänger als musikalischer Direktor der New Yorker Philharmoniker (»Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Dirigent zu werden, wenn Mitropoulos nicht eines Tages zu mir gesagt hätte: › Du musst Dirigent werden!‹«).
    Am Ende führte mich Bernstein zu dem Foto, das er am meisten in Ehren hielt. Darauf saß er zusammen mit seiner Frau, der chilenisch-amerikanischen Schauspielerin Felicia Montealegre, die 1978 starb, am Klavier. Und schließlich schob er mich sanft zu einem Sessel neben einem Tisch, auf dem einige ägyptische Kamelglocken lagen. Ich setzte mich, und er nahm die Glocken in die Hand und ließ sie klingen, wie um zu signalisieren, dass wir nun zum Zuhören übergingen. Er bot mir ein Glas Wodka an,
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