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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein
Autoren: Jonathan Cott
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sich wahnsinnig verliebt hatte, und während er redete, »wurde das Auto immer langsamer, bis es sich gar nicht mehr bewegte und mitten auf der Landstraße stehen blieb«.
    * * *
    Manchmal begegnet man einem Menschen, der vom ersten Augenblick an Teil des eigenen Lebens gewesen zu sein scheint.
    Zum ersten Mal begegnete ich »Lenny« am 14. November 1954, genau elf Jahre nach seinem Debüt in der Carnegie Hall. Ich selbst war damals elf Jahre alt, und um fünf Uhr an diesem Sonntagnachmittag hatte meine Mutter in unserem Wohnzimmer den Fernseher eingeschaltet, um die wöchentliche Kultursendung Omnibus anzusehen. Meinen ersten Eindruck des Dirigenten werde ich nie vergessen. Es war ein dunkelhaariger Mann, der eine dunkle Krawatte und einen dunklen Anzug trug – ein Fernsehkritiker sprach einmal von Bernsteins auffälliger Ähnlichkeit mit dem jungen Abraham Lincoln. Er sprach mit ruhiger, kühler, wohlklingender Stimme – nur bei genauem Hinhören verriet sein Zungenschlag die Herkunft aus der Bostoner Oberschicht –, und er war dabei, im Fernsehen Töne zu visualisieren!
    Auf dem Bildschirm sah ich die erste Seite der Partitur von Beethovens 5. Sinfonie, riesengroß und mit weißer Farbe auf den schwarzen Studioboden gemalt, und auf jeder Notenlinie standen die Musiker mit ihren verschiedenen Instrumenten. Dann wandte sich der Dirigent Beethovens verworfenen Skizzen des ersten Satzes zu. Er ließ die Holz- und Blechbläser, die Beethoven zunächst verworfen hatte, den Raum verlassen und demonstrierte mit den übrigen Instrumenten, wie das Werk in dieser frühen Form geklungen hätte. Am Ende ließ er das Orchester den ganzen ersten Satz in seiner endgültigen Form spielen. Die Sendung war eine Offenbarung.
    In den nächsten Jahren war ich bestrebt, viele weitere Bernstein-Sendungen in der Omnibus -Reihe zu sehen, zum Beispiel »The World of Jazz« [Die Welt des Jazz] oder »What Makes Opera Grand?« [Was ist die große Oper?]. Mit fünfzehn hatte ich mein erstes richtiges Rendezvous mit einem Mädchen namens Beth, und wir sahen uns die Broadwayproduktion der West Side Story von 1957 an – wahrlich das Sacre unter den Musicals. Zwar reichten weder Bernsteins ergreifende Filmmusik noch meine eigene dynamische Teenager-Persönlichkeit aus, um das Herz meiner Angebeteten zu erobern, doch meine musikalischen Wünsche wurden, indem ich Bernsteins Karriere verfolgte, im Lauf der Zeit voll und ganz befriedigt.
    Seit 1958, als Leonard Bernstein musikalischer Direktor der New Yorker Philharmoniker war, hatte ich seine Konzerte besucht, zuerst in der Carnegie Hall, dann in der Avery Fisher Hall. In jenen frühen Jahren von Bernsteins Regentschaft war Harold C. Schonberg der Chefmusikkritiker der New York Times , Paul Henry Lang hatte die gleiche Stellung beim New York Herald Tribune inne, und beide schienen von den gleichen fixen Ideen besessen zu sein, wenn es um Bernsteins Aufführungen ging. Es verging kaum eine Woche ohne eine abfällige Äußerung – besonders von Harold Schonberg, der gehässige Kommentare abgab über den »ungeheuerlichen Exhibitionismus« dieses Dirigenten, seine »vulgären Darbietungen, die die Solisten in den Hintergrund drängten«, sein »Stampfen«, sein »Hämmern« auf die Tasten, und nicht zuletzt seine »überzogenen Ritardandi«. Am Ende einer seiner Rezensionen schrieb Schonberg, ganz typisch: »Bernsteins Fußarbeit war herrlich gestern Abend. Aber man wünschte, es hätte mehr Musik und weniger Heiterkeit gegeben.« Anlässlich von Bernsteins erster Saison mit den New Yorker Philharmonikern erklärte er: »Die ganze Zeit spürt man eher die Aura des Showbusiness als die der Entstehung von Musik. Nachdenkliche Menschen beklagen sich immer öfter über Bernsteins Possen am Pult … und fragen sich, ob Lenny jemals erwachsen werden wird.« Bernstein seinerseits steckte solche Kritiken mühelos weg. »Es gab welche, die mich verletzten, andere haben mich überglücklich gemacht«, bemerkte er, »manchmal haben sie mich gelangweilt, manchmal war ich empört, aber nie verbittert. Nichts davon bleibt ja bestehen. Es ist alles vergänglich.«
    In den folgenden Jahren hatte ich das Glück, viele außergewöhnliche Bernstein-Konzerte besuchen zu können, doch es gab insbesondere drei, die ich immer im Gedächtnis behalten werde: die legendär gewordene Aufführung des 1. Klavierkonzerts von Brahms mit Glenn Gould am 6. April 1962; die Aufführung von Mahlers Auferstehungssinfonie am 15.
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