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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein
Autoren: Jonathan Cott
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Dezember 1971, zur Feier von Bernsteins tausendstem Konzert mit den New Yorker Philharmonikern; und die Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven mit den Wiener Philharmonikern am 14. November 1979 in der Carnegie Hall.
    Unmittelbar nach der orgiastischen Apotheose im letzten Satz der Neunten drehte sich meine Konzertbegleiterin zu mir um und rief aus: »Wow! Das war wahrlich ein Sacre der wonnevollen Freude!« Und da die Carnegie Hall nur ein paar Blocks vom Studio 54 entfernt lag, beschlossen wir, uns zu dieser Apotheose aller Diskotheken auf den Weg zu machen, dem Tempel aller nächtlichen Freuden und Wonnen, dem Kultraum des »schönen Götterfunkens« … obwohl die Oden, die ihm dort gedichtet wurden, eher von Donna Summer als von Friedrich Schiller stammten.
    Tatsächlich war es Donna Summers allgegenwärtiges »Love to Love You Baby«, das uns empfing, nachdem wir es geschafft hatten, den streng bewachten Eingang der Diskothek zu passieren; und in der wirbelnden Menge zog mich meine Freundin auf die Tanzfläche. Beim Tanzen spürten wir plötzlich, dass uns jemand heftig von hinten anstieß, und als wir uns umdrehten, grüßten uns das manische Winken und das strahlende Lächeln – ich schwöre, es ist wahr – des Maestro-Dionysos höchstselbst! Da war er, wie wild tanzend – mit einer schwarzen Lederjacke über dem ansonsten nackten Oberkörper, einer Zigarette im Mundwinkel – mit einem Gefolge von Feiernden, die ihn und schließlich auch mich und meine Freundin umkreisten und umschwärmten. Es war in jeder Hinsicht Leonard Bernsteins Zaubernacht der Freude.
    Meine erste Livebegegnung mit Leonard Bernstein hatte also auf der Tanzfläche stattgefunden; die nächste sollte sich etwas förmlicher gestalten. 1988 fragte ich die Redakteure des Rolling Stone , ob sie daran interessiert wären, ein Interview mit Bernstein zu publizieren, anlässlich seines siebzigsten Geburtstags im August dieses Jahres. Sie sagten Ja, und ich kontaktierte seine Pressereferentin Margaret Carson, die mir Jahre zuvor geholfen hatte, ein Interview mit dem ebenfalls von ihr vertretenen jungen Dirigenten Michael Tilson Thomas zu führen. Margaret erfuhr von Bernsteins Manager Harry Kraut, dass der gefeierte Maestro keine Interviews mehr gab, doch damit wollte sie sich nicht abfinden. Mit einer Verve, die ich ihr nie vergessen werde, arrangierte sie ein Mittagessen mit Harry Kraut in einem russischen Restaurant in New York, bei dem er mich bezüglich meiner Vertrauenswürdigkeit interviewen und entscheiden sollte, ob ich mich für eine Empfehlung an seinen Klienten eignete. Zudem hielt sie es für nützlich, Bernstein ein Buch mit Gesprächen zu schicken, die ich mit Glenn Gould geführt hatte. Es stellte sich dann heraus, dass Gould einer von Bernsteins musikalischen Helden war, aber auch ein enger und bewunderter Freund.
    Es folgte eine lange Wartezeit, aber schließlich, im September 1989, rief mich Maggie an, um mir die gute Nachricht zu überbringen: Ich hatte das Vorsprechen bei Harry Kraut erfolgreich absolviert, Bernstein hatte mein Buch gelesen und nicht nur dem Interview mit mir zugestimmt, sondern auch den Vorschlag gemacht, dass wir uns am 20. November in seinem Landhaus in Connecticut zum Abendessen treffen sollten. Überglücklich schlug ich sofort meinen Terminkalender auf, blätterte zum Datum des 20. November vor, der ein Montag war, und schrieb darunter:
    Dinner mit Lenny

    1 Nähere Angaben zu den erwähnten Büchern siehe Auswahlbibliografie.
    2 L. B., Freude an der Musik , dt. von Kora Tenbruck, S. 141.

2. Dinner mit Lenny
    20. November 1989

L EONARD BERNSTEIN STELLTE gleich klar, dass dies kein typisches Promi-Interview werden würde: »Ich habe kein Lieblingsorchester, keinen Lieblingskomponisten, keine Lieblingssinfonie, kein Lieblingsessen und keine Lieblingsposition beim Sex«, warnte er mich grinsend, als er mich an jenem windigen Montagnachmittag des 20. November 1989 an der Tür seines Hauses in Fairfield, Connecticut, empfing. »Also stellen Sie mir bloß nicht diese Lieblingsjournalistenfragen.«
    »Bestimmt nicht«, versprach ich.
    Der Maestro war damals einundsiebzig Jahre alt, weißhaarig, aber von jungenhafter Überschwänglichkeit. Er trug Leinenhose und Pullover und führte mich strahlend in das behagliche, weiß gestrichene Schindelhaus, ein Bauernhaus mit zehn Zimmern aus dem Jahr 1750, voller Möbel und Antiquitäten aus der amerikanischen Gründerzeit. Die Regale quollen über von Büchern
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