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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein
Autoren: Jonathan Cott
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singt]: ›Soldaten wohnen / Auf den Kanonen / Vom Cap bis Couch Behar.‹ Alle Darsteller hatten Drahtlosmikrofone, und Tiger Brown wurde von Larry Marshall gespielt, einem wunderbaren Bariton, also er sang mit dieser Stimme, Rrrrrrr , und im Vergleich mit ihm war Stings Stimme einfach nichts – selbst mit dem Mikro. Er hat eben seine Rock-Stimme, was soll’s? Er ist großartig, aber man kann ihn doch nicht so vorführen, mit all diesen wundervollen Sängern um ihn herum, mit ihren großen, geschulten Stimmen.«
    »Man hätte also entweder den einen Typ Sänger oder den anderen nehmen müssen«, sagte ich.
    »Eigentlich«, erwiderte er, »sollte die Dreigroschenoper von Leuten gemacht werden, die eher Amateure sind, wie Lotte Lenya, die ursprüngliche Polly Peachum, die diese Songs auf eine halb professionelle Weise sang, ohne Vibrato, so rau, dass das Berlin der Zwanzigerjahre wiederzuerkennen war. Alle Stimmen sollten so sein – aber wenn man große Gesangskunst will, könnte man lebensgroße Puppen verwenden und einen im Voraus aufgenommenen Soundtrack.«
    »Wie sind Sie beim Casting für die West Side Story vorgegangen?«, fragte ich.
    »Das war eine sehr schwierige Sache, weil die Darsteller singen und tanzen können mussten und dabei auch noch wie Teenager aussehen sollten. Ha! Unmöglich! Jeder sagte uns, wir wären verrückt und sollten es vergessen. Columbia Records wollte kein Geld reinstecken, keine Plattenaufnahmen machen, also sangen wir es ihnen vor wie zwei Verrückte, Steve Sondheim 5 und ich, vierhändig am Klavier, fast schreiend. Wir versuchten, ihnen einen Eindruck zu geben von einem Quintett, oder von all den kontrapunktischen Sachen, diesen verrückten Fugen wie der Zwölftonfuge »Cool«. Man sagte uns, dass niemand in der Lage dazu sei, übermäßige Quarten zu singen – Ma-rii- aaaa – vom C zum Fis. Unmöglich! Und es wurde gesagt, die Tonsprünge seien zu groß für Popmusik – To- night , To- night – es ging einfach zu weit. Und außerdem, wer wolle ein Stück sehen, in dem nach dem ersten Akt der Vorhang fällt und zwei Leichen auf der Bühne liegen? Das ist einfach kein Broadway-Musical.
    Wir waren also sehr entmutigt. Und das Casting war wirklich ein riesiges Problem: Wir mussten Teenager finden oder Leute, die aussahen wie Teenager oder mithilfe einer Perücke oder einer guten Maske als Teenager durchgingen. Also entschlossen wir uns schließlich, es mit einer Mischung zu probieren: Ein paar von ihnen waren echte Teenager, einige waren einundzwanzig, andere waren dreißig, sahen aber aus wie sechzehn. Ein paar von ihnen waren wunderbare Sänger, konnten aber nicht sehr gut tanzen. Oder sie waren tolle Tänzer und konnten nicht sehr gut singen … und wenn sie beides konnten, konnten sie nicht spielen. Es war die Hölle.
    Und ich sage Ihnen eins: Für Columbia Records war es die Rettung. Denn am Ende haben sie doch die Platte aufgenommen, mit vielen Vorbehalten und unter Protest – und dann hat diese Aufnahme sie vor dem Bankrott bewahrt. Sie hatten gerade meinen Candide aufgenommen, der am Broadway ein Flop war – es gab ungefähr zweihundert Vorstellungen, dann wollte es niemand mehr sehen –, die Platte war am Ende aber ein Renner. Aber das Jahr 1957, in dem West Side Story anlief, war ein sehr hartes Jahr für die Plattenfirmen, denn ihr Erfolg hing immer von den Verkaufszahlen im Bereich der Popmusik ab. Man kann kein Geld verdienen, wenn man den kompletten Strawinsky, dirigiert von Strawinsky, herausbringt. Goddard Lieberson, der damalige Präsident von Columbia, interessierte sich für klassische Musik, aber er musste seine Verluste in der Klassik mit den Gewinnen in der Popmusik ausgleichen. So konnte er immer noch ein bisschen Copland oder Strawinsky machen. Aber 1957 verkauften sich ihre Popalben nicht. Der Reiz des Bebop war begrenzt, seine Zeit war praktisch vorbei.«
    »Aber Columbia hatte Johnny Mathis«, warf ich ein.
    »Stimmt, das konnten sie noch verkaufen. Gefühlsduselige Popmusik.«
    »Und Columbia stieg nicht in den Rock ’n’ Roll der späten Fünfzigerjahre ein, obwohl es den damals schon ein paar Jahre gab«, bemerkte ich.
    »Mein lieber Junge, es gab schon in den späten Dreißigerjahren Rock ’n’ Roll – bevor Sie geboren wurden –, also erzählen Sie mir nicht so was!«, rief Bernstein aus. »Ich hörte den Ausdruck ›Rock ’n’ Roll‹ zum ersten Mal in einem Song, den Ella Fitzgerald mit dem Jazzdrummer Chick Webb und seiner Band 1937
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