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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl
Autoren: James Morrow
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Anthony die Lider verkniff. Als würfe er
ein Schreiben in den Briefkasten, schob der Engel dem Kapitän
die Broschüre zwischen nackte Brust und Arm. »Sobald die
Umbauten der Valparaíso fertig sind, schickt die Karpag sie auf eine Erprobungsfahrt nach New York.«
    »Die Karpag? O nein, mit den Schweinehunden
will ich nichts mehr zu tun haben.«
    »Mit denen haben Sie natürlich nicht mehr zu tun.
Die Valparaíso ist von einem auswärtigen
Interessenten gechartert worden.«
    »Ein anständiger Kapitän führt kein
unregistriertes Schiff.«
    »Sie fahren durchaus unter einer Flagge.«
    »Welcher Flagge?«
    »Der Fahne des Vatikans, unter Gottes Farben.« Ein
Hustenanfall packte den Engel, Tränen und Federn stoben durch
die schwüle Luft. »Er ist ungefähr bei den
Nullnull-Koordinaten in den Atlantik gestürzt, dort wo der
Äquator an den Anfangsmeridian grenzt. Machen Sie sich dort an
die Suche. Wahrscheinlich ist er abgetrieben, vielleicht mit dem
Guinea-Strom nach Osten. Kann sein, Sie finden ihn bei Sao Tome, aber
Sie wissen ja, Gottes Wege sind unerforschlich.« Indem er
fortwährend Federn verstreute, humpelte Rafael, Anthony dichtauf
an den Fersen, aus dem Foyer zum Cuxa-Kloster. »Sie beziehen ein
großzügiges Gehalt. Pater Ockham ist finanziell gut
ausgestattet.«
    »Otto Merrick könnte der richtige Mann für so einen
Auftrag sein. Ich glaube, er fährt noch für Atlantik-Richfield.«
    »Sie bekommen Ihr Schiff zurück«, fuhr der Engel
ihn barsch an, stützte sich auf die Einfassung des
Springbrunnens. Er atmete stoßweise und mit einem Röcheln,
als hätte er zerlöcherte Lungen. »Ihr Schiff… und
noch etwas…«
    Der Engel – sein Heiligenschein knisterte und flackerte,
seine Tränen flossen – warf den zum Schreiben benutzten
Federkiel ins Brunnenwasser. Eine Szene erschien, deren satte Rot-
und trübe Grüntönung an die ersten Jahre des
Farbfernsehens erinnerte: Um einen Eßtisch saßen
fünf reglose Gestalten.
    »Erkennen Sie’s?«
    »Ja…«
    Erntedankfest 1998, vier Monate nach der Ölkatastrophe. Alle
hatten sie sich in Vaters Wohnung in Paterson getroffen. Christoph
van Horne nahm, habituell hochtrabend und elegant, gekleidet in einen
Anzug aus weißer Schurwolle, den Platz am Kopfende des Tisches
ein. Zu seiner Linken: die dritte Gattin, eine lautmäulige,
klapperdürre, von Selbstmitleid zerfressene Frau namens Tiffany.
Zur Rechten: Frank Kolby, sein bester Freund von der
Lotsenvereinigung, ein phantasieloser Bostoner Schleimscheißer.
Anthony saß auf dem Stuhl gegenüber seines Vaters, an
einer Seite flankiert von seiner stämmigen Schwester Susan, die
in New Orleans eine Fischzucht betrieb, auf der anderen Seite von
seiner damaligen Freundin Lucy McDade, einer zierlich-kleinen,
attraktiven Stewardess der Exxon Bangor. Jede Einzelheit
stimmte, der Zigarillo im Mund des alten Seebärs, das
Ronson-Feuerzeug in seiner Hand, die blaue
Steingut-Soßenschüssel neben seinem Teller voller
zermanschter Kartoffeln und tiefbraunem Fleisch.
    Die Gestalten zuckten, fingen zu atmen und zu essen an. Anthony
glotzte aufs Wassers und sah mit Entsetzen, was als nächstes
bevorstand.
    »Holla, da ist ja die Valparaíso«, sagte
Christoph van Horne, ließ das Ronson-Feuerzeug in die
Soße fallen. Er war von Wodka-Cocktails beduselt. Das Feuerzeug
drehte sich in die Senkrechte – Feuerstein unten,
Gasbehälter oben –, aber schwamm.
    »Froggy, laß den Unfug«, ermahnte ihn Tiffany.
    »Vati, laß das«, verlangte Susan.
    Anthonys Vater fischte das Feuerzeug aus der Schüssel. Dicke,
braune Soße rann ihm über die Finger, während er sein
Schweizer Armeetaschenmesser zückte und das Plastikgehäuse
einschnitt. Flüssiges Butangas troff auf die Leinentischdecke.
»O je, die Valparaíso hat ein Leck.« Er warf
das Feuerzeug ein zweites Mal in die Soßenschüssel und
lachte, sobald man das Butan in die Soße sickern sah.
»Irgendwer muß sie aufs Bolivar-Riff gesteuert haben. Die
armen Wasservögel…«
    »Froggy, also bitte!«
    »Die Grindwale hatten echt keine Chance«, meinte Frank
Kolby, unterdrückte ein grobschlächtiges Lachen.
    »Kann es sein, daß der Kapitän die Brücke
verlassen hat?« fragte Christoph van Horne mit gespieltem
Befremden.
    »Wir haben dich alle verstanden«, stellte Susan
klar.
    Der Alte beugte sich zu Lucy McDade hinüber, als ob er
Spielkarten austeilte. »Dein Seemannsfreund hat die Brücke
verlassen. Ich wette, er hatte mal wieder Kopfweh, und – schwupp – weg war er,
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