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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl
Autoren: James Morrow
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Buonarroti macht
sich daran, die Erschaffung Adams zu malen, und ein Jährchen
später sieht man in der Sixtinischen Kapelle auch Gott –
einen alten Mann mit Bart, völlig richtig. Oder denken Sie an
Blake, wie gewissenhaft er das Buch Hiob illustriert und alles genau
getroffen hat, auch den alten Gottvater. Oder schauen Sie sich den
Beweis an, den Sie hier vor Augen haben…« Und es stimmte,
erkannte Anthony, auf dem Altarbild war Gott anwesend: ein
rauschebärtiger Siebziger, gleichzeitig heiter und streng,
liebevoll und grimmig.
    Aber nein. Das war alles Irrsinn. Rafael Azarias war ein
Betrüger, ein Schwindler, zweifelsfreier Fall für die
Klapsmühle.
    »Sie fallen auseinander«, stellte Anthony fest.
    »Ich sterbe«, berichtigte ihn der Engel. Sein
Heiligenschein, der zuvor so rot wie das Texaco- Logoerstrahlt
war, blinkte jetzt in bläßlichem Rosa. Seine vorher
glanzvollen Federn verbreiteten inzwischen nur noch fahlbleichen
Schein, als bewohnte eine Kolonie gealterter Leuchtkäfer das
Gefieder. Winzige Gespinste scharlachroter Äderchen durchzogen
seine Augen. »Die Himmlischen Heerscharen sterben samt und
sonders. So gewaltig tief ist unsere Trauer.«
    »Sie haben von meinem Schiff gesprochen.«
    »Gottes Leichnam muß geborgen werden. Geborgen,
abgeschleppt und eingeschreint. Von allen Schiffen auf Erden ist
für diese Aufgabe ausschließlich die Karpag
Valparaíso geeignet.«
    »Die Valparaíso ist schwer
beschädigt.«
    »Sie ist in der vergangenen Woche wieder vom Stapel gelassen
worden. Momentan ist sie oben in Connecticut, in der Nationalen
Stahlwerft, und steht zur Erledigung der von Ihnen zu
spezifizierenden Umbauten bereit.«
    Anthony betrachtete seinen Unterarm, spannte und lockerte die
Muskeln, so daß die auftätowierte Seejungfrau eine Reihe
von Höckern und Falten bekam.
    »Gottes Leichnam…«
    »Ganz richtig«, sagte Rafael.
    »Ich könnte mir vorstellen, daß er groß
ist.«
    »Von vorn bis hinten drei Komma zwo Kilometer.«
    »Schwimmt er mit dem Gesicht nach oben?«
    »Ja. Es fällt auf, daß er lächelt. Rigor
mortis, vermuten wir, aber es kann auch sein, daß es ihm
vor seinem Verscheiden beliebt hat, diesen Gesichtsausdruck
anzunehmen.«
    Anthony heftete den Blick auf das Altarbild, bemerkte die
lebensspendende Milch, die aus der rechten Brust der Jungfrau
floß. Drei Komma zwei Kilometer? Dunnerlüttchen, drei
Komma zwei Kilometer? »Dann werden wir wohl morgen was in
der Times darüber lesen, hm?«
    »Das bezweifle ich«, erwiderte Rafael. »Um von
Wettersatelliten geortet zu werden, hat der Leichnam zu hohe Dichte,
und er gibt eben noch soviel Wärme ab, daß er auf dem
Langstreckenradar einen komischen Fleck hinterläßt, der
nach Nebel aussieht.« Dem Engel brachen neue Tränen hervor,
während er Anthony ins Foyer geleitete. »Wir können
unmöglich dulden, daß er verwest. Wir dürfen ihn
nicht den Raubtieren und Würmern überlassen.«
    »Gott hat keinen Körper. Gott stirbt nicht.«
    »Doch, Gott hat einen Körper – und aus uns
völlig schleierhaften Gründen ist dieser Körper jetzt
gestorben.« Rafaels Tränen flossen unablässig, als
drängen sie aus einem vergleichbar reichlichen Quell wie der
Trans-Texas-Pipeline. »Befördern Sie ihn nach Norden.
Lassen Sie ihn in der Arktis gefrieren. Bestatten Sie die
Überreste.« Vom Schaltertisch des Eingangs nahm er eine
Hochglanzbroschüre des Städtischen Kunstmuseums, deren
Umschlag man Piero della Francescas Auffindung und Prüfung
des Heiligen Kreuzes aufgedruckt hatte. »Bei der
Svalbard-Inselgruppe befindet sich ein riesiger Eisberg, der
dauerhaft mit dem oberen Küstenbereich der Insel Kvitöi
verbunden ist. Dort treibt sich niemand herum. Wir haben den Eisberg
schon ausgehöhlt, Einfahrt, Stollen, Gruft, alles ist da. Sie
müssen ihn nur noch hineinbringen.« Der Engel zupfte eine
Feder aus der linken Schwinge, hielt sie sich ans Auge und
befeuchtete den Kiel mit einer silbernen Träne. Er drehte die
Broschüre um und schrieb etwas auf die Rückseite.
»Achtzig Grad sechs Minuten nördlicher Breite«,
murmelte er vor sich hin. »Vierunddreißig Grad
Länge…«
    »Sie reden mit dem Falschen, Mr. Azarias. Sie brauchen keinen
Tanker-, sondern einen Schlepperkapitän.«
    »Wir wünschen einen Tankerkapitän. Wir wollen Sie.
Ihr neues Kapitänspatent ist schon mit der Post unterwegs. Es
stammt von der brasilianischen Küstenwache.« Rafaels Feder
flitzte übers Papier und beschrieb es mit so feurig-hellen
Buchstaben, daß
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