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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl
Autoren: James Morrow
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Kolumbus in
»Christoph« umgeändert.
    »Ein überragender Seemann, ja«, pflichtete Anthony
bei. Er schnippte einen Kieselstein in den Brunnen, verwandelte das
Gesicht seines Vaters in eine Häufung konzentrischer Kreise.
Träumte er? Hatte er eine Migräne-Halluzination? »Ein
roher Mensch, aber ein überragender Seemann. Für was
ausgewählt?«
    »Für die wichtigste Seereise der
Menschheitsgeschichte.«
    Als der Wasserspiegel sich glättete, erschien ein zweites
Gesicht: eine hagere, angespannte Falkenmiene überm weißen
Kragen eines katholischen Priesters.
    »Pater Thomas Ockham«, erklärte der Engel. »Er
ist hier auf der Insel tätig. An der Physikalischen
Fakultät der Fordham-Universität. Er unterrichtet dort
Teilchenphysik und avantgardistische Kosmologie.«
    »Und was hat er mit mir zu tun?«
    »Gott, unser gemeinsamer Schöpfer, ist gestorben«,
antwortete Rafael mit einer Stimme, in der Schmerz, Erschöpfung
und Trauer mitklangen.
    »Was?«
    »Gott ist tot.«
    Unwillkürlich wich Anthony einen Schritt zurück.
»Das ist doch verrückt.«
    »Er ist gestorben und ins Meer gestürzt. Hören Sie
gut zu, Anthony van Horne. Sie erhalten Ihr Schiff
zurück.«
     
    Der Supertanker war vier Fußballplätze lang, Eigentum
der Karibischen Petroleum AG und Stolz der von ihr betriebenen
Tankerflotte, und Anthony van Horne war der Kapitän. Eigentlich
sollte es für die Karpag Valparaíso eine
Routinefahrt werden, ein normaler Nachttransport von Port Lavaca, der
Zapfstätte der Trans-Texas-Pipeline, durch den Golf und nach
Norden zu den öldurstigen Küstenstädten. Die Flut
stand hoch, der Himmel war klar, und Rodrigo Lopez, der
mexikanisch-amerikanische Hafenlotse, hatte das Schiff eben ohne
einen Kratzer durch die Nueces-Meerenge geleitet.
    »Eisberge schwimmen Ihnen heute nacht nicht in die
Quere«, hatte Lopez gescherzt, als er die wasserdichte Hose
über die Jeans zog. »Aber achten Sie auf Drogenschmuggler,
sie steuern ihre Kähne noch schlechter als Griechen.« Mit
dem Zeigefinger deutete der Lotse auf einen verwaschenen Fleck auf
dem Schirm des Zwölfmeilenradars. »Das könnte einer
sein.«
    Während Lopez in seine Barkasse kletterte und in Richtung
Port Lavaca tuckerte, setzte Anthonys Migräne ein. Er hatte
schon schlimmere Anfälle erlitten -Migränezustände,
bei denen er auf die Knie gesunken und die Welt in ein
Buntglasscherben ähnliches Farbeninferno zerspellt war –,
aber trotzdem, auch dieses Mal war es ein ziemlicher Hammer.
    »Sie sehen nicht gut aus, Käpten.« Buzzy
Longchamps, der permanent fröhliche Erste Offizier, kam auf die
Brücke geschlurft, um seine Wache anzutreten.
»Seekrank?« spaßte er mit einem unterdrückt
prustenden Auflachen.
    »Machen wir, daß wir hier wegkommen.« Anthony
preßte Daumen und Mittelfinger gegen die Schläfen.
»Volle Fahrt voraus.«
    »Volle Fahrt voraus«, wiederholte Longchamps. Er schob
beide Hebel nach vorn. »Volle Pulle«, sagte er und
zündete sich eine Lucky Strike an.
    »Volle Pulle«, stimmte Anthony zu. »Backbord
zehn.«
    »Backbord zehn«, bestätigte der Vollmatrose am
Steuerrad.
    »Recht so«, fügte Anthony hinzu.
    »Recht so«, wiederholte der Vollmatrose.
    Der Erste Offizier stapfte zum Radarschirm und tippte mit dem
Finger auf das amorphe Echo. »Was ist das?«
    »Wohl ein Schiff mit Holzrumpf, wahrscheinlich aus
Barranquilla«, antwortete Anthony. »Also, ich bezweifle,
daß es Kaffeebohnen geladen hat, verstehen Sie?«
    Longchamps lachte, die Lucky Strike wippte zwischen seinen Lippen.
»Stuart und ich schaffen’s auch allein.« Der Erste
Offizier trommelte mit den Fingern auf der Schulter des Vollmatrosen,
als übertrüge er seine Worte in Morsezeichen.
»Stimmt’s, Stuart?«
    »Na sicher«, beteuerte der Vollmatrose. »Ist doch
klar.«
    Anthonys Gehirn schien in Flammen zu stehen. Seine Augen
fühlten sich an, als ob sie zerliefen. Bei Bestehen eines
navigatorischen oder meteorologischen Risikos müssen sich
ständig zwei Offiziere auf der Brücke aufhalten. So
lautete einer der am wenigsten zweideutigen Sätze im Karpag- Bordhandbuch.
    »Es sind nur noch zwei Meilen bis zum offenen Meer«,
erklärte der Erste Offizier. »Um fünfzehn Grad
beigedreht, und wir sind aus ’m Schneider.«
    Longchamps schnappte sich den tragbaren Sprechfunkapparat und gab
Kate Rucker, der Vollmatrosin, die am Bug auf Ausguck stand, die
Weisung durch, die Glubscher nach einem irregulären Frachter
offenzuhalten.
    »Aye-aye.«
    »Sind Sie sicher, daß
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